Ich wurde von meinem vierten bis 15. Lebensjahr von dem Mann, der mich gezeugt hat, gefoltert ‒ sexuell, körperlich, psychisch. Immer mit der Begründung: „Weil du zu faul zum Laufen bist und ich dir das austreiben muss.“ Er hatte nach eigenen Angaben selbst Gewalt in seiner Kindheit erlebt, die „ihm nicht geschadet“ hätte. Als ich nach meiner Geburt durch zu wenig Sauerstoff im Brutkasten zur Spastikerin wurde und ihm meine Tanten das als Strafe Gottes für sein Fremdgehen mit meiner Mutter vorwarfen, jetzt „so ein Kind“ zu haben, nahm die Katastrophe meines Lebens ihren Lauf.

Als man die Behinderung ‒ eine Tetraspastik ‒ bei mir nicht mehr verbergen konnte, indem man mich im Kinderwagen herumschob, fing er an, mich bestialisch zu quälen, um „meine Lust zu steigern, normal zu werden“, mich zu bewegen, zu laufen, wie „normale“ Kinder das tun. Das Wort „behindert“ über meinen Zustand hörte ich mit 15 Jahren zum ersten Mal, als ich durch das mutige Eingreifen und Nicht-Wegsehen einer Ärztin meinem Unelternhaus entkam. Ich war sehr gehirngewaschen. Auf die Frage: „Was möchtest du trinken?“, sagte ich: „Kommt drauf an, was ich dafür tun muss!“ Und auf die Frage: „Was möchtest du anziehen?“ „Egal, Hauptsache, nicht nackt.“ Einen Rollstuhl bekam ich erst dann, mit 15 Jahren. Gebraucht hätte ich ihn spätestens ab meinem vierten Lebensjahr.

Ich war mit 15 Jahren der Überzeugung, kein Mensch zu sein. Er nannte mich hinter verschlossenen Türen im Alltag immer: „das Tier“, „Drecksau“, „Schlampe“, „kein Mensch“ usw. Er nannte auch meine Körperteile entsprechend: „Pfoten“, „Haxen“, „Maul“. Bezeichnete ich selbst meine Körperteile anders, wurde auch das bestraft. Ich war „unwert“, per se an allem Unglück meines Vaters schuld, hatte kein Recht auf irgendwas, musste ihm tatsächlich verbal immer wieder danken, dass er „so eine wie mich“ überhaupt noch am Leben ließ. Todesangst gepaart mit Todessehnsucht, weil ich die Schmerzen und Demütigungen nicht mehr ertrug, dominierten mein Leben.

Er kontrollierte mein Alles. Jede Bewegung, jede unwillkürliche spastische Zuckung, jeden Atemzug, alles, was aus „so einer wie mir“ kam. Dies wirkte sich durch meinen erhöhten behinderungsbedingten Hilfebedarf als Spastikerin besonders dramatisch aus. Er fesselte mich tage- und nächtelang splitternackt in für SpastikerInnen besonders unerträglichen Positionen, ich lag oft lange in Ausscheidungen. Er funktionierte Therapiegeräte wie das fatalerweise von ihm selbst gebaute Stehbrett und die vom Arzt verordneten Nachtschienen in Foltergeräte um, indem ich viel länger als verordnet und unsachgemäß darin festgeschnallt wurde. Er folterte mich je nach Laune, mal zu viel Zwangszufuhr von „Fressen und Saufen“, dann wieder mit viel zu wenig bis gar nichts. Er folterte mich mit Kälte, Hitze, Nadeln, Federn. Ich wurde an den Armen aufgehängt, geschlagen, er rieb Salz in offene Wunden, zwang mich, seinen und meinen Urin zu „saufen“, drohte mir immer wieder an, mir „nutzlose Körperteile abzuhacken“. Laut ihm gehörte mein „nichtsnutziger Körper“ sowieso ihm. Er hinderte mich durch Untertauchen und Würgen am Atmen und vieles mehr.

„Wer zu faul ist, alleine zum Klo zu laufen, hat kein Recht auf Pissen und Kacken!“ Diese gnadenlose Überzeugung machte mir das Leben besonders unerträglich. Flehte ich um Erleichterung, was mir ebenso strikt verboten war wie das Weinen und Schreien, hatte ich seine Bereitschaft dazu, mich „eventuell gnädigerweise zu erlösen“, immer mit sexuellen Handlungen an ihm „zu erkaufen“. Er stand dann z.B. grinsend vor mir und sagte Dinge wie: „Ich soll deine Pisse ungestraft aus dir lassen? Na, dann schauen wir mal, wie gut du bist …“ Ich hatte ihm auch furchtbare Lügen wortwörtlich nachzusprechen wie z.B.: „Wenn du meine Pisse aus mir lässt, obwohl ich das nicht verdient habe, streichle ich dir gerne dein Ding …“. Ich sollte in geknebeltem Zustand solche Dinge deutlich von mir geben, ansonsten war das ein Grund, die „undankbare Göre noch mehr zu bestrafen“. Er nannte alle Folterungen immer „Strafen“, zu denen ich ihn angeblich zwang. Alles würde sofort enden und wir wären eine glückliche Familie, wenn ich meinen Widerstand zu laufen, normal zu werden, endlich aufgeben wollen würde. Ihm fehlte jeglicher Bezug zur Realität meiner Behinderung.

Ich gab damals durchaus deutliche Signale nach außen. Rettung organisierte aber keiner dieser Menschen.

Meine Mutter hatte ebenfalls Panik vor ihm und ließ sich von ihm bis zu ihrem natürlichen Tod, als ich 11 Jahre alt war, zwingen, seine unmenschlichen Regeln und Qualen zu überwachen, wenn er außer Haus war. Beim Frühstück wurde sie instruiert, was mit mir bis zu seiner Wiederkehr passieren sollte oder nicht passieren durfte, und sie hielt sich zumeist daran, weil: „Sonst bringt er uns beide um.“ Damit er zusehen konnte, hatte auch sie mich sexuell zu erregen und tat dies. Widerwillig, aber sie tat es, wann immer er das forderte.

In der Öffentlichkeit und wenn Besuch zu uns kam, gab er sich als fürsorglicher Vater. Spuren seiner Folter wurden unter hübscher Kleidung versteckt, vor obligatorischen Arztbesuchen gab es ausschließlich Qualen, die keine Spuren hinterließen. Sonntags, an Feiertagen und an Geburtstagen wurde weniger gefoltert, weil „Gott an Tagen des Herrn dagegen sei, dass man verdiente Strafen ausführe“ oder weil „eine bessere Behandlung Unwürdiger zum Dank an Gott, dass es uns alle gäbe, angebracht sei“. Das waren sehr verwirrende Verschnaufpausenbegründungen für mich, ebenso wie die jeweils folterfreie Zeit mittwochabends eine Stunde lang, weil da jede Woche gefeiert wurde, dass Gott mich geschenkt hatte. Das ehemalige Wunschkind, das nach dieser Stunde wieder weiter gefoltert wurde.

Dass ich wenigstens aller Welt zeigte, dass ich „nicht auch noch blöd im Kopf“ war, war ihm außerordentlich wichtig, wenn ich einen Lob-Pinocchio oder später eine Note mit einer 1 vor dem Komma mit nach Hause brachte: „Zur Belohnung einmal pissen ohne bezahlen.“ Nach dem Tod meiner Mutter wurden diese Dienste dann aber wieder umso mehr, weil ich „die Frau sexuell zu ersetzen hatte, die ich mit meinem So-tun-als-bräuchte-ich-Hilfe umgebracht hätte“. Auch an der Fehlgeburt meiner Mutter Jahre zuvor war ich mit der gleichen Begründung angeblich schuld gewesen, hatte mein Geschwisterchen auf dem Gewissen.

Ich gab damals durchaus deutliche Signale nach außen. Einmal sagte ich einer Tante, als ich beim Zappen Szenen eines Pornofilmes im Fernsehen bei ihr sah, dass mein Papa so ähnliche Dinge auch mit mir mache, und ich sagte jeder weiblichen Verwandten, die in unserer Wohnung war: „Bitte nimm mich mit zu dir oder bleib doch noch“, obwohl mir das weitere „Strafen“ einhandelte. Rettung organisierte aber keiner dieser Menschen. Nach dem Tod meines Vaters sagte eine Tante: „Wir wussten ja alle, was er mit dir machte, aber wir hatten eben auch Angst vor ihm. Und man mischt sich ja nicht in andererleuts Familienangelegenheiten“, was mich bis heute echt fertig macht.

Heute bin ich eine Frau, die sich trotz alledem mit Gottes und guter Menschen Hilfe ins Leben gekämpft hat, aber mit schweren zusätzlichen gesundheitlichen Einschränkungen: Einer Komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung mit reaktiven depressiven Episoden, einer Harninkontinenz durch zu langes Anhalten früher, einer Atemstörung im Gehirn durch seine Erstickungsversuche und einem immer wieder schmerzenden Knie, weil ein Kniescheibenbruch, den er mir seinerzeit in seiner rasenden Wut zugefügt hat, nie fachgerecht behandelt wurde. Außerdem ist durch das Leugnen meiner Behinderung eine frühe Förderung, die die Folgen des Sauerstoffmangels im Brutkasten hätte reduzieren können, ja fatalerweise ausgeblieben. Dass ich heute aller Wahrscheinlichkeit nach mit dieser Förderung ein von Assistenz und Pflege unabhängiges Leben hätte führen können, vielleicht sogar kurze Strecken laufen, ist an manchen Tagen bis heute unerträglich für mich, besonders bei der Intimpflege.

Für mich führen außerdem strukturelle Missstände wie z.B. pflegerische Unterversorgung durch Pflegenotstand im Krankenhaus bis heute jedes Mal zu einer therapeutisch zusätzlich behandlungsbedürftigen Retraumatisierung ebenso wie demütigende Aussagen von Behörden und Sprechstundenhilfen oder auch in Pflegebegutachtungssituationen, wenn z.B. meine Assistentin, nicht mal ich, gefragt wird, wie viele Liter meine Inkontinenzhose fasst. Das müsse der männliche Gutachter wissen, um meinen erlaubten Wechselbedarf errechnen zu können. Ich habe außerdem auch zweimal später durch einen Arzt und einen Zivildienstleistenden erneut sexuelle Gewalt erlebt, die beide Male vermeidbar gewesen wäre, wenn die Strukturen nicht so menschenmissachtend gewesen wären. Zu diesem Arzt wäre ich nie gegangen, wenn man als Volljährige, so wie es rechtlich richtig gewesen wäre, auch in diesem Rehazentrum freie Arztwahl gehabt hätte und Ärzten nicht nach Wohnheim zugeteilt worden wäre. Der Zivi wäre nie als Studienhelfer in mein Leben getreten, wenn meinem Wunsch nach weiblicher Studienhilfe im Sozialen Jahr entsprochen worden wäre, was die zuständige Behörde in voller Kenntnis meiner Vorgeschichte aus Kostengründen ablehnte. Fatalerweise war auch bei diesen Verbrechen an mir meine Behinderung die Begründung dieser Täter bzw. es wurde meine Hilflosigkeit ausgenutzt: „Du bekommst deinen Rollstuhl erst wieder, nachdem ich mit dir … darf!“