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Ich bin in der DDR aufgewachsen und war ein ungewolltes Kind. Die ersten Jahre wuchs ich bei meinen Großeltern und meiner Tante auf. Kurz vor meiner Schuleinführung Ende der 1970er-Jahre brachte meine Mutter einen Mann mit nach Hause und verkündete stolz, dass dieser ihr Freund sei und wir gemeinsam wegziehen würden. Ich sollte Papa zu ihm sagen.
Das erste Mal, dass er mich missbrauchte, war in ihrem Ehebett. Ich war es gewohnt, bei meinen Großeltern früh zu kuscheln und versuchte das auch bei meiner Mutter. Sie schlief noch tief und fest. Also sagte mir der Mann, dass ich auf seiner Seite unter die Decke krabbeln kann. Irgendwann merkte ich, dass er etwas durch meine Beine schob und sich bewegte. Ich konnte gar nichts machen, weil ich nicht einordnen konnte, was er da tat. Als er fertig war, habe ich ihn angeschrien, dass er mich angepinkelt hätte.
Der Mann war Alkoholiker. Schläge, Arschtritte und andere körperliche Gewalt wurden Alltag. Er ging auch auf meine Mutter und meine Oma los. Wenn er alkoholisiert war, kam er in mein Bett. Irgendwann ging ich dazu über, fast vollständig bekleidet ins Bett zu gehen. Ich hatte über der Unterwäsche den Schlafanzug und darüber einen Bademantel an. Aber das machte ihn wütend. Also hatte ich die Wahl, von ihm verprügelt oder missbraucht zu werden.
Das letzte Mal war nach etwa zwei Jahren. An einem Nachmittag kam er zu mir ins Bett und versuchte, mich auszuziehen. Ich weiß nicht, wo ich die Kraft hernahm, aber ich warf ihn runter von mir. Als er wieder zurückwollte, rollte ich mich weg und fiel in die Scheibe des Balkons. Ich blutete an Kopf und Knie. Meine Oma ging mit mir am nächsten Tag zu unserer Hausärztin. Dort erzählte ich zum ersten Mal alles. Ich sagte ihr, dass sie meiner Oma nichts sagen soll, aber sie hat doch mit ihr gesprochen. Da traf meine Oma eine Entscheidung. Sie wollte mich zu sich nach Hause holen. Deshalb ging sie zum Jugendamt und zeigte den Mann bei der Polizei an. Der Mann wurde schließlich zu einem Jahr und elf Monaten Haft verurteilt. In den Augen der Richter war es ein Vergehen, kein Verbrechen. Außerdem gab es strafmildernde Umstände wegen seines Alkoholmissbrauchs. Ich musste ihm im Gericht gegenübersitzen und aussagen. Der Verteidiger des Mannes sagte, dass es doch meine Schuld sei. Schließlich solle ich in der Wohnung nicht in Unterwäsche und Strumpfhose herumlaufen. Als ich aus dem Gerichtssaal gegangen bin, musste ich am Tisch von dem Mann vorbei. Da flüsterte er mir zu, dass er dafür sorgen würde, dass ich niemals glücklich werde.
Ich denke, dass die DDR-Opfer, die Missbrauch in der Familie erlebt haben, zu wenig berücksichtigt werden.
Die Prügelattacken vom Ex-Mann meiner Mutter haben in der Nachbarschaft alle mitbekommen. Passiert ist nichts. Als ich im Rahmen des späteren OEG-Verfahrens Einblick in die Strafakte hatte, erfuhr ich, dass meine Mutter es über lange Zeit geahnt hatte, später dann auch wusste und dennoch an ihrer Ehe festhalten wollte. Sie hat mir oft vorgeworfen, ich hätte ihre Ehe zerstört. Auch meine Klassenlehrerin in der Unterstufe wusste vom Missbrauch. Sie wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens befragt, auch das erfuhr ich aus den Akten. Sie gab die Info an meine spätere Klassenlehrerin in der Oberstufe weiter. Dieser Lehrerin habe ich so viel zu verdanken. Sie hat mich immer spüren lassen, dass ich okay bin, so wie ich bin.
Der zweite Mann war eine Affäre meiner Mutter. Er brachte Geschenke aus dem Westen mit, ging mit uns in den Intershop. In meiner Klasse konnte ich mit den Westsachen punkten, weil ich nun mal eine BRAVO-Zeitung hatte oder ein Deospray. Dieser Mann hat sich so eingeschlichen in unser Leben. An einem Nachmittag schickte er meine Mutter weg. Angeblich fehlte die Sahne für den Kaffee. Meine Mutter wollte, dass ich losgehe und sie besorge. Er aber sagte, dass wir uns schließlich auch „anfreunden“ müssten. Kaum war meine Mutter weg, holte er Schminke aus dem Intershop hervor. Er sagte, dass ich ganz lieb sein müsse, wenn ich sie haben wollte. Und dann hat er mir gezeigt, was er damit meinte. Ich sollte ihn mit der Hand, dann mit dem Mund befriedigen. Er kam dann öfter, und immer war irgendetwas, damit er meine Mutter wegschicken konnte. Das Ganze hörte auf, als er etwa ein Jahr später starb.
Ich weiß nicht, ob das, was meine Mutter getan hat, auch Missbrauch ist. Nachdem der Mann meiner Mutter im Knast war, habe ich neben ihr im Ehebett geschlafen. Ich habe öfters mitbekommen, dass sie sich selbst befriedigt. Anschließend hat sie sich immer an mich gekuschelt. Ich habe dann so getan, als ob ich das nicht mitbekomme und versucht, mich wegzudrehen.
Mit 14 Jahren habe ich versucht, mich umzubringen. Als das nicht funktionierte, habe ich beschlossen, ab sofort keine Gefühle mehr zuzulassen. Viele Jahre konnte ich nicht weinen. Das kam erst in der Therapie wieder. Und ich konnte nicht richtig lachen, weil ich ständig Angst hatte, dass mir dann etwas passiert. Ich habe mich in dieser Zeit auf die Schule fokussiert und einen der besten Abschlüsse der Klasse gemacht. Eigentlich wollte ich Abitur machen und dann studieren. Aber das war Ende der 1980er-Jahre, und da war in der DDR eben alles anders.
Erst in der Psychiatrie habe ich nach einem Zusammenbruch Ende der 1990er-Jahre meine Geschichte erzählt, zunächst nur bruchstückhaft, weil ich vieles verdrängt hatte. Mit der Zeit kam immer mehr zutage. Ich habe mit Abständen immer wieder Therapien gemacht, war in der Reha. Schließlich kam ich über den Weißen Ring zu einem Opferanwalt, der für mich kämpfte. Bis zur Entscheidung über die Erwerbsminderungsrente hat es acht Jahre, bis zum OEG zehn Jahre und sehr viele belastende Gutachten gebraucht. In dieser Zeit war ich wegen der Posttraumatischen Belastungsstörung und der Depressionen arbeitslos oder befristet berentet.
Bis heute habe ich Flashbacks. Außerdem begleiten mich dauerhaft Schmerzen im Rücken und Kopf. Manchmal fühlt es sich so an, als wären das die Schläge von früher. Mittlerweile habe ich es geschafft, ehrenamtlich aktiv zu sein und in meinem Traumberuf ein paar Stunden zu arbeiten. Ich habe zwei Kinder, die nichts von meiner Vergangenheit wissen. Durch meine Kinder habe ich es geschafft, manchmal wieder selbst Kind zu sein und Dinge zu erleben, die ich damals eben nicht hatte. Das sind so Kleinigkeiten, wie Zuckerwatte essen. Wenn ich meine Tochter ansehe, erinnere ich mich an damals. Ich habe Angst um sie, versuche aber trotzdem, sie nicht einzuengen. Sie zeigt mir jeden Tag, wie meine Kindheit hätte verlaufen können, wenn nichts passiert wäre.
Ich denke, dass die DDR-Opfer, die Missbrauch in der Familie erlebt haben, zu wenig berücksichtigt werden. Die Dinge, die in Heimen und Jugendwerkhöfen oder in anderen gesellschaftlichen Zusammenhängen passiert sind, sind schlimm. Aber Missbrauch in der Familie gab es auch. Ich habe noch bis zu meinem Zusammenbruch geglaubt, dass ich mit meiner Geschichte allein bin.
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