Ich wurde Mitte der 1960er-Jahre als sogenanntes Frühchen geboren, was dazu geführt hat, dass meine Eltern keinen Krippenplatz für mich bekommen haben. Da beide Elternteile berufstätig waren, wurde ich schon nach Ablauf des damaligen Mutterschutzes in einer „befreundeten Familie“ untergebracht. Der Mann war ein Arbeitskollege meines Vaters. Auch während der späteren Kindergartenzeit kam es zu regelmäßigen Aufenthalten in der Familie. Zusätzlich wurde ich auch öfter bei Feiern über Nacht im Ehebett der Familie gelassen.

In dieser Familie fand überwiegend der sexuelle Missbrauch statt. Den Ton in dieser Familie erinnere ich als sehr rau. Ihre eigenen Jungen wurden wiederholt geschlagen. Es wurde viel Alkohol konsumiert. Die sexuellen Übergriffe fanden sowohl am Tag als auch in der Nacht statt. Erinnert werden wiederholte Übergriffe in Form von Berührungen, oraler und später auch vaginaler Vergewaltigungen.

Im Alter von etwa sechs Jahren kam es zu einem Ereignis mit mehreren Männern, einer davon war mein Vater, und einem anderen Mädchen. Ich vermute, dass diese Übergriffe fotografiert wurden, denn ich erinnere mich insbesondere an das Blitzen und die Schreie dieses Mädchens. In meinem Elternhaus existierte ein Karton mit pornografischen Fotos mit entsprechenden Abbildungen Erwachsener untereinander, aber auch mit Tieren in eindeutigen Posen.

Einen weiteren sexuellen Missbrauch erinnere ich als Neunjährige in Form von Angefasst-Werden und Anfassen-Müssen in einer anderen befreundeten Familie, auch hier ein Arbeitskollege meines Vaters. Nach diesem Vorfall erinnere ich ein Redeverbot. Es war offenbar normal, dass ich über Nacht allein bei „befreundeten Familien“ oder Arbeitskollegen meines Vaters gelassen wurde und dann mit im Ehebett der Familie geschlafen habe.

Ich finde es extrem hilfreich zu erfahren, dass es auch in der DDR
Fälle von sexuellem Missbrauch gab.

Was da vor sich ging, muss auch meine Mutter mitbekommen haben. Sie sagt heute von mir, dass ich ein „schwieriges Kind“ gewesen sei. In einem Gespräch mit meinem Mann erzählte sie, dass ihr das früher als Flüchtlingskind auch passiert sei und nicht geschadet habe.

Es wurde damals nicht geredet, nicht hingeschaut, alles war normal. Es in Worte zu fassen, ist heute noch schwierig, es auszusprechen beinahe unmöglich. Für meine Eltern war es immer wichtig, die Fassade nach außen zu wahren. Lange war ich der festen Überzeugung, eine „normale Kindheit“ gehabt zu haben. Auch nachdem ich in der Therapie langsam über meinen Missbrauch sprechen konnte, war ich trotzdem lange davon überzeugt, dass in der DDR alles kinderfreundlich war und Kinder unter einem besonderen Schutz standen. Da gab es so etwas nicht. Daher finde ich es extrem hilfreich zu erfahren, dass es auch in der DDR Fälle von sexuellem Missbrauch gab und zwar nicht nur in Institutionen.

In meiner Schulzeit war ich ein sehr ruhiges, ängstliches und zurückhaltendes Kind. Vor männlichen Lehrern hatte ich große Angst. Ich wurde viel gehänselt und ausgelacht. Es war immer schwierig andere Kinder mit nach Hause zu bringen, ich wurde sehr isoliert durch meine Eltern. Trotzdem ist es mir gelungen eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester abzuschließen. Heute bin ich verheiratet und habe Kinder und Enkel.