Mein Vater war evangelischer Pfarrer. Er hat mich manchmal an Abenden, an denen meine Mutter nicht zu Hause war, zu sich ins Schlafzimmer genommen und sich sexuell an mir vergangen. Ich war damals zwischen zwölf und vierzehn Jahre alt.

Ich habe erst viele Jahre nach dem Missbrauchsgeschehen mit meiner Mutter und meinen Geschwistern darüber gesprochen. Dass mein Vater pädophil war, war bereits seit Anfang der 1970er-Jahre bekannt. Er hatte damals Konfirmanden sexuell belästigt, was dazu führte, dass er seine Pfarrstelle wechseln und eine Therapie beginnen musste. Auch wurde ihm der unbeaufsichtigte Umgang mit Kindern und Jugendlichen in der Kirchengemeinde verboten. Das war soweit geregelt. Aber Anfang der 1980er-Jahre verging er sich dann an mir.

Offenbar waren das soziale Umfeld und die Familie davon ausgegangen, dass nach der Therapie keine Gefahr für sexuelle Übergriffe mehr bestand. Eine Fehleinschätzung, wie sich leider zeigen sollte. Für mich hatte das Geschehen gesundheitliche Folgen in erheblichem Umfang. Ich litt unter Angst- und Zwangsstörungen, hatte Panikattacken. Ein Studium konnte ich nach Abschluss der Gymnasialzeit aufgrund meiner instabilen psychischen Situation nicht antreten.

Er musste seine Pfarrstelle wechseln.

Da ich mich damals niemandem anvertraut habe, kam es zu keiner Strafverfolgung. Über die Geschehnisse hatte ich die Unabhängige Kommission für die Gewährung von Leistungen in Anerkennung des erlittenen Leids der ev. Landeskirche informiert. Dort teilte man mir zunächst mit, dass man nicht zuständig sei, da es sich um ein „familiäres Geschehen“ handle und verwies mich an staatliche Stellen. Nachdem ich dagegen protestiert hatte, wich man von dieser Haltung ab und zahlte schließlich eine standardisierte Anerkennungsleistung. Vor einigen Monaten meldete sich die Kommission erneut, um meinen Fall zu meinen Gunsten noch einmal zu prüfen.

Mein Vater lebt heute nicht mehr. Ich habe ihn nie mit den Geschehnissen konfrontiert. Auch er hat sich später nie dazu geäußert. Meine psychische Situation konnte durch eine EMDR-Therapie mittlerweile stabilisiert und deutlich verbessert werden. Verletzungen, Narben bleiben.