Ich will es versuchen, zu erzählen, was einst geschehen ist, die Erinnerung belastet mich bis heute.

Geboren wurde ich Ende der 1960er-Jahre in der DDR. Ich bin in einem kleinen Dorf abseits der Landstraßen aufgewachsen. Dort schien die Zeit stillgestanden zu sein. Die Eltern arbeiteten in der LPG, Vater in der Tierproduktion und Mutter auf dem Feld. In der LPG Tierproduktion war es normal, dass während der Arbeitszeit Alkohol getrunken wurde. Die Arbeit auf dem Hof prägte meine Kindheit. Meine Eltern lehnten den Kontakt zu den anderen im Dorf ab und auch ich durfte nicht mit anderen Kindern sein: „Dein Platz ist auf dem Hof, hier wartet genug Arbeit auf dich.“

Aufgrund einer Erkrankung im Kleinkindalter war ich in der Entwicklung etwas zurückgeblieben und hatte einen Sprachfehler, der nicht behandelt wurde. Besonders für Mutter war ich eine große Enttäuschung. Meine Eltern brachten mir bei, dass ich grundsätzlich zu schweigen habe und nur sprechen solle, wenn ich gefragt werde.

Eines Tages kam ich nach Hause und spürte, dass irgendetwas nicht stimmt. Zu Mittag gab es Eintopf, nach dem Abwasch sagte Mutter, ich solle zum Vater gehen. Beim Betreten des Kinderzimmers ahnte ich absolut nicht, was mich erwarten würde. Meine beiden Brüder waren auch dort und mein Vater fing an zu sprechen. Meine Leistungen in der Schule seien schlechter geworden, ich hätte immer noch nicht begriffen, dass ich nichts zu sagen, sondern nur zu schweigen hätte. Mein Gehorsam lasse zu wünschen übrig. Nun habe sich der Familienrat beraten, mit zwölf Jahren sei ich in einem gefährlichen Alter, ab sofort würde ich regelmäßig gezüchtigt.


Irgendwann habe ich nur noch geschwiegen und funktioniert.

An diesem Tag ging meine Kindheit zu Ende, ein absoluter Alptraum begann. Vater verlangte, dass ich mich ausziehe. Was habe ich mich geschämt. Sie haben mich gnadenlos verspottet, wie dumm und hässlich ich doch aussehe. Vater berührte mich an der Brust, was habe ich mich geschämt von Vater berührt zu werden. Ich sollte ihnen den "Tittentanz" zeigen, das hieß Kniebeuge, Liegestütze, hüpfen und Hampelmann. Ich musste vor Vater niederknien, folgenden Satz wiederholen, der mich noch heute verfolgt: "Mein Vater, ich bin ein verdammtes elendes Miststück, eine Schande für die Familie. Mein Vater, ich war ungehorsam und habe Strafe verdient." Meine Mutter drehte in der Küche das Radio laut auf. 25 Hiebe mit dem Gürtel, es war die Hölle. Nach jedem Hieb sollte ich sagen: "Danke, ich habe es verdient." Irgendwann kam Mutter und sagte, dass ab heute ein anderer Wind wehe. Oma lobte meine Eltern, dass sie endlich beginnen würden mich zu züchtigen. Erst heute begreife ich, dass meine Oma und ihre Töchter das Gleiche erlebt haben, sie kannten es nicht anders.

Irgendwann war ich mit meinem Bruder allein zu Hause. Er sah mich seltsam an und sagte, dass ich zu gehorchen habe. Ich sollte mich ausziehen. Ich schämte mich so sehr.

Als es vorbei war, ermahnte mein Bruder mich, ich dürfe niemanden etwas davon sagen, das sei unser Geheimnis. Außerdem würde ich sonst in ein Heim für böse Mädchen kommen. Wem sollte ich etwas sagen? Zu Hause hatte ich zu schweigen, Freunde hatte ich keine, auf dem Schulhof war ich meist allein. Seit jenem Tag geschah es regelmäßig. Mein Bruder kam und fragte, von wem ich bestraft werden möchte, vom Vater mit dem Gürtel oder von ihm. Ich wollte keine Schläge. War ich gehorsam, bekam ich keine Prügel. Doch mein Bruder blieb nicht der einzige. Ich werde dieses Bild nie vergessen, als sein Freund ihm Geld und eine Schachtel Zigaretten gab. Von jenem Tag an wurde ich regelmäßig zur Ware. Sie haben mir sehr wehgetan und mir meine Würde genommen.

Nach meiner Jugendweihe sollte ich Mutter für Besorgungen in die Stadt begleiten. Ein Bekannter fuhr uns hin. Ich sollte bei dem Mann im Auto warten. Als wir allein waren, zog er ein Geschenk unter seinem Sitz hervor, es war ein Buch. Er forderte mich auf, es anzusehen. Ich bekam ein Schreck, die Bilder ähnelten dem, was mein Bruder und sein Freund mit mir machten, wenn sie mich bestraften. Wenige Wochen später schickten meine Eltern mich allein mit dem Mann in die Stadt. Vor der Stadt bog er in einen Wald ein. Niemand kann es erahnen, was es für ein 15-jähriges Mädchen bedeutet, allein einem erwachsenen Mann ausgeliefert zu sein. Vier Jahre lang wurde ich gezwungen mit ihm mitzufahren. Irgendwann habe ich nur noch geschwiegen und funktioniert. Ich hatte Angst. Ich dachte, ich bin nichts wert, ein böses und ungehorsames Mädchen, das bestraft wird.

Mithilfe eines Pfarrers und seiner Frau habe ich es geschafft, dieses Haus und den Ort zu verlassen. Zum ersten Mal machte ich als erwachsene Frau eine richtige Sprachtherapie und erhielt ärztliche Hilfe. Seit drei Jahren bin ich in einer richtigen Psychotherapie, um alles aufzuarbeiten. Es ist nicht leicht, eine absolute Schwerstarbeit. Ich lerne mit meinen eigenen Gefühlen umzugehen und meinen Körper anzunehmen. Aber zuallererst musste ich lernen, dass ich nun reden darf.