Zum Zeitpunkt der Übergriffe lebten meine Eltern bereits getrennt. Als ich elf Jahre alt war, fuhr ich allein mit dem Zug zu meinem Vater zu Besuch. Als Erstes eröffnete er mir, dass ich bei ihm im Ehebett schlafen solle. Das hatte ich davor nie gemacht. Am Morgen sagte er, ich solle mich mit ihm gemeinsam im Bad fertig machen. Er bestand auch darauf, mit mir gemeinsam zu duschen. In der Dusche fasste er seinen Penis an und ließ ihn mit der Hand schnell rauf und runter gehen. Dies dauerte noch an, wenn ich die Dusche verließ. Ich versuchte immer, schnell fertig zu werden und wegzuschauen. Dies passierte regelmäßig beim Duschen.

Einmal, anfangs, bin ich auf seine Bettseite, weil ich kuscheln wollte. Er drehte sich dann plötzlich zu mir mit entblößtem Penis und sagte, wo ich schon mal da sei, könnte ich das alles mal ganz genau anschauen. Ich sollte ihn da auch anfassen. Ich wollte nicht. Er nahm meine Hand trotzdem und befriedigte sich damit selbst. Ich versuchte dabei „weg“ zu sein. Einmal wartete er darauf, dass ich im Flur an ihm vorbeilief. Er umarmte mich plötzlich und presste mich an sich. Er hatte eine Erektion. Ich erstarrte, bis er mich nach einer Weile losließ. Mehrmals versuchte er, mir Zungenküsse zu geben. Nachts schreckte ich regelmäßig hoch, weil mein Vater meine Hand zu sich genommen hatte. Was er damit machte, kann ich nicht sagen. Morgens sagte er öfters: „Du hast mal wieder geschlafen wie eine Scheintote.“

Zwischen zwölf und 14 war mein Vater mit mir mehrfach im Urlaub. Immer gab es dort ein Hotel mit Sauna. Er war täglich mit mir in der Sauna. Ich denke, es ging ihm nur darum, mich unter diesem Vorwand lange nackt anschauen zu können. Er hat oft ziemlich lüstern und ekelhaft geschaut. Besonders unangenehm war es mir, mit ihm nackt in diesen Tauchbecken zu sein. Als ich 13 war, waren wir im Skiurlaub. Dort kam es zur Vergewaltigung. Ich starrte in den Lichtschein der Lampe an der Wand. Danach duschten wir. Ich war wie betäubt und starrte nur in den Duschstrahl.

Es passiert in jeder Schicht.

Der Missbrauch endete, als ich 14 war. Ich war bei ihm zu Besuch und er wollte wieder in ein Spaßbad mit Sauna. Ich hatte aber meine Blutung bekommen. Ich fing in meiner Verzweiflung an zu weinen. Ich sagte dann, ich wolle nicht mehr in die Sauna, weil wir dort schon so oft gewesen seien. Er ließ es dann an dem Tag sein. Kurz darauf begann ich einen Briefwechsel mit ihm. Thema war nur, dass ich kein Vertrauen zu ihm habe. Und dass er für mich kein Vater sei.

Mit 16 Jahren habe ich meiner Mutter erzählt, dass es Übergriffe gab, aber keine Details. Ich hatte viel verdrängt. Meine Mutter sprach mit meinem Großvater, der mit meinem Vater sprach. Der hat sich dann irgendwie bei mir entschuldigt, ohne genau zu sagen wofür. Eine externe Aufklärung oder Anzeige gab es nie. Ich selbst habe mir den Missbrauch danach jahrzehntelang sehr kleingeredet. Das Gefühl von Scham und Stigma ist immer bei mir geblieben. Es gab innerhalb der Familie keinen offenen Umgang und keine Schuldzuweisung an meinen Vater.

Ich konnte Abitur machen und ein Hochschulstudium mit sehr guter Note absolvieren. Ich habe einen gut bezahlten Job, bin verheiratet und habe drei Kinder. Psychisch bin ich stets auf der Hut, oft misstrauisch und gehemmt. Ich leide darunter, dass es so viel gibt, über das ich eigentlich nicht reden kann. Anlässlich einer Reportage über Missbrauch von Ministranten ist das Thema bei mir plötzlich wieder hochgekommen. Ich habe mir jetzt Hilfe gesucht und bin in psychotherapeutischer Behandlung.

Was mir wichtig ist zu sagen: Es passiert in jeder Schicht. Mein Vater ist Jurist. Er war lange Behördenleiter. Später, nach seiner Pensionierung, war er als Schöffe bei einem Gericht. Man sollte bedenken, dass auch hoch angesehene Entscheidungsträger Täter sein können. Was dann wohl für Entscheidungen fallen?