Das erste Mal sexuell missbraucht wurde ich im Kindergartenalter, und zwar von meinem Vater. Es war mehrfach an der Brust streicheln und im Genitalbereich anfassen, bis ich ungefähr sieben Jahre alt war. Damals wusste ich gar nicht, dass es falsch ist, weil ich zu klein war. Mit 14 Jahren habe ich meinen Vater angezeigt. Es kam erst da richtig hoch, was bei meinem Vater abgelaufen ist. Mein Vater hat auch Freundinnen von mir betrunken gemacht und da berührt, wo er es nicht durfte. Als ich meinen Vater angezeigt habe, wollte keine meiner Freundinnen aussagen. Meinem Vater wurden die zwei Monate U-Haft angerechnet, und das war es. Das Gericht hatte keine andere Möglichkeit. Wenn keiner aussagt für mich, was soll das Gericht dann machen?

Als ich sieben Jahre alt war, wurde ich mit meiner Schwester von der Polizei und dem Jugendamt aus der Wohnung geholt und zu Pflegeeltern gebracht. Nach ungefähr einem Jahr fing das Ganze wieder an: unser Pflegevater. Das ging bis zu meinem zwölften Lebensjahr. Nach einem Besuch bei unserem Vater in den Ferien wurden wir vom Jugendamt zurückgefahren zu den Pflegeeltern. Ich wollte da nicht mehr hin, ich wollte nicht mehr von diesem Mann angefasst werden. Ich war diesmal älter und wusste, dass es falsch ist. Ich bin dann zu einer Freundin gerannt und habe meinen Freund angerufen und gefragt, ob sein Vater mir helfen kann. Ich habe eine positive Antwort bekommen und bin sofort mit dem Rad zu meinem Freund. Sein Vater hat mich zum Bahnhof gefahren. Wir sind gerade an der Polizei vorbei, da habe ich meinen Pflegevater rauskommen sehen. Am Bahnhof angekommen, lief ich einem Mann in die Arme. Es war ein Polizist. Ich habe ihm dann gesagt, ja fast schreiend, was mein Pflegevater mit mir all die Jahre gemacht hat.

In meinem Kopf verjährt nichts.

Mein Pflegevater hat ein paar Jahre auf Bewährung bekommen, obwohl er Schutzbefohlene fast fünf Jahre sexuell missbraucht hat. Ihm wurde es positiv angerechnet, dass er gestanden hat. Im Gefängnis war er definitiv nicht. Nach der Bewährung ist es so, als wenn nichts passiert sei.

Ich habe drei Kinder großgezogen und bin stolz darauf. Aber sobald ich Träume von der Vergangenheit habe, bekomme ich Angst und sperre die Tür von innen zu. Ich kann nicht mal eben mit dem Bus oder Zug fahren, da ich definitiv Angst vor fremden Menschen und vor allem Männern habe. Einfach so in einen fremden Laden gehen, kann ich nicht wegen der Angst. Trödelmarkt, Kirmes, Läden und Cafés musste ich oft schnell verlassen, da ich Panik bekam. Das ist kein schönes Leben, wenn man von seinen Ängsten bestimmt wird.

Ich habe keinen Beruf gelernt. Ich war super gut in der Schule und hätte Tierärztin werden können. Da man mich aber gemobbt hat, bin ich von den Schulen geflüchtet. Es ist nicht schön, wenn man gesagt bekommt: „War es geil mit deinem Vater?“ oder: „Hast du Geld dafür bekommen oder musstest du noch draufzahlen?“

Viele Opfer reden erst nach vielen Jahren darüber, weil sie es verdrängt hatten oder sich erst später sicher fühlen, um reden zu können. Sie werden der Chance beraubt, ihren Peiniger anzuzeigen, weil es verjährt ist. Also in meinem Kopf verjährt nichts. Wir, die Opfer, haben bis zum letzten Atemzug mit dem Geschehen zu kämpfen und zu arbeiten. Das Schreiben wühlt natürlich auf. Aber ich möchte anderen Leuten helfen und zeigen, dass wir die Opfer sind und dass wir keine Schuld haben.