Ich bin in der ehemaligen DDR aufgewachsen und von sexuellem Kindesmissbrauch in der Familie betroffen. Meine Eltern haben sich zwei Jahre nach meiner Geburt scheiden lassen. Ich wuchs als Einzelkind bei meiner Mutter auf. Kontakt zu meinem leiblichen Vater hatte ich nur in Form von Briefen.

Meine Mutter war Alleinversorgerin, sowohl für mich als auch für meine Oma, die damals bei uns lebte. Als ich etwa drei Jahre alt war, kam mein Stiefvater in unsere Familie, und da begann mein Martyrium. Immer wieder suchte er mich auf, um mich sexuell zu missbrauchen. Entweder geschah es bei meinem Mittagsschlaf oder zu Zeiten, in denen meine Mutter arbeiten war. Das zog sich bis zu meinem 14. Lebensjahr hin. Leider hat dieser Mann es geschafft, mich bis zu meinem 21. Lebensjahr mundtot zu machen. Erst dann brach ich mein Schweigen und öffnete mich meiner Mutter.

Ich habe all die Jahre geschwiegen, weil es offiziell so etwas in der ehemaligen DDR nicht gab.

Als Kind war ich oft krank. Allerdings konnte der Kinderarzt keine organischen Ursachen feststellen. Anfang der 1980er-Jahre wurde ich in die Landesnervenklinik eingewiesen, wo ich ein Dreivierteljahr blieb. Auch hier konnte offenbar nichts Näheres festgestellt werden. Man bekam in der DDR keine Auskünfte, die auf sexuellen Kindesmissbrauch hinwiesen. So etwas gab es damals einfach nicht. Ich hatte in dieser Zeit auch mehrere gynäkologische Untersuchungen. Mit zwölf Jahren wurde ich operiert. Die offizielle Diagnose lautete: Gewächse an der Harnröhre. Auch von dort bekam meine Mutter keine Hinweise darauf, dass ein sexueller Kindesmissbrauch vorliegen könnte. Ich selbst hege seit Langem den Verdacht, dass damals operativ Feigwarzen entfernt wurden, da mein Stiefvater damals auch meine Mutter mit einer Geschlechtskrankheit infizierte.

Ich habe vor Scham all die Jahre geschwiegen. Auch, weil es offiziell so etwas in der DDR nicht gab. Heute befinde ich mich in einer psychotherapeutischen Behandlung. Es hat viele Jahre gebraucht, bis ich dazu bereit war, aber die Vergangenheit hat mich eingeholt. Ich leide unter Depressionen und einer posttraumatischen Belastungsstörung, und ein normales, glückliches Leben erscheint mir manchmal kaum möglich. Aber mit diesem Bericht möchte ich ein für alle Mal das Schweigen brechen.