Die Geschichten auf diesem Portal enthalten Schilderungen, die verstörend wirken können. Einige Worte oder Beschreibungen können negative Erinnerungen und unangenehme Gefühle auslösen. Falls Sie das Bedürfnis haben, mit jemanden darüber zu sprechen, nutzen Sie bitte die Angebote zur Beratung & Hilfe.
Bei mir war es ein einmaliges Erlebnis, als ich elf oder zwölf Jahre alt war. Es war mein Musiklehrer. Er war damals um die siebzig Jahre alt, jetzt ist er schon lange tot. Ich habe Jahre später zur Aufarbeitung folgenden Text geschrieben:
Wie lange sitzen wir jetzt schon auf dieser Bank? Ich weiß es nicht. Eine halbe Stunde? Eine Stunde? Oder nur zehn Minuten? Viele Menschen sind inzwischen vorbeigegangen. Spaziergänger, Fahrradfahrer, Autofahrer. Sogar die Polizei fuhr vorbei. Ich habe mich so sehr gefreut, als ich den Wagen gesehen habe. Ich dachte: Jetzt wird alles gut. Doch das Auto ist vorbeigefahren, hat nicht mal gebremst.
Ich verstehe nicht, wie alle Leute einfach vorbeigehen können.
Es fühlt sich nicht gut an, was er macht. Er hat zwar zu mir gesagt, ich würde gleich etwas Schönes erleben, aber er hat mich angelogen, schön ist das nicht. Im Gegenteil, ich habe Angst, finde es ekelig, finde ihn ekelig. Hat er irgendwo ein Messer? Wie lange muss ich noch hier sitzen bleiben? Wenn ich nach zehn Minuten schon wieder nach Hause komme, fragt mich meine Mutter garantiert, warum ich nur so kurz unterwegs war. Also muss ich noch ein bisschen sitzen bleiben. Viele Gedanken sind nicht in meinem Kopf. Nur der eine: Warum kommt denn niemand? Ich verstehe nicht, wie alle Leute einfach vorbeigehen können. Ich sitze hier, er macht was mit mir, was ich nicht will, und keinen interessiert es. Die Bank steht zwar etwas abseits, trotzdem könnte jemand kommen und fragen, ob alles in Ordnung ist, oder sich einfach nur neben uns setzen.
Nach einiger Zeit kommen mir tatsächlich zwei Worte über die Lippen: „Und jetzt“, beginne ich den Satz. Er unterbricht seine Tätigkeit, wiederholt: „Und jetzt?“ Seine Augen sind glasig. „Und jetzt könnten wir wieder gehen“, führe ich den Satz zu Ende. In dem Moment überfällt mich eine große Angst. Was mache ich, wenn er sich weigert? Wenn er mich zwingt, sitzen zu bleiben? Wenn er weitermachen will? Wenn er noch nicht gehen will? Was mache ich? Ich will hier weg!
Der Augenblick, bis zu dem Moment, in dem er aufstand und mit mir nach Hause ging, dauerte nur Sekunden. Für mich war es eine halbe Ewigkeit. Aber es gab zum Glück nie ein zweites Mal.
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