Ich wohnte mit meinen Eltern in einer Wohnsiedlung. Eines Tages, als ich draußen spielte, kam ein Mann auf mich zu und sprach mich an. Er meinte, er müsse mal pinkeln gehen und ob ich aufpassen könne, dass niemand dabei zuschaut. Der Mann nahm meine Hand und ging mit mir in den Wald. So ein Kind denkt sich nichts dabei, nein.

Nachdem er für sich eine passende Stelle gefunden hatte, stellte er mich in eine bestimmte Position. Ich müsse ihm beim Pinkeln zusehen. Er holte seinen Penis raus und rieb ihn unnatürlich vor mir. Oh, ich kleines, armes Kindchen. Dass mir das tatsächlich passiert ist. Er meinte, ich solle auch meine Hose runterlassen. Er betätschelte mich. Dann meinte er, ich solle ihn anlangen und nahm meine Hand. Schließlich sagte er, dass ich das niemandem erzählen dürfe und dass ich nun gehen könne. Er lief weg, und ich war ganz allein im Wald. Auf einmal ergriff mich Panik. Ich rannte durch den Wald, alles drehte sich um mich, ich hatte Angst und Kälte um mich herum. Ich fand den Weg aus dem Wald und sah diesen Mann nie wieder.

Zwei Jahre später hat mich mein Großvater missbraucht. Er hat mich regelmäßig am Genitalbereich berührt. Er hat beim „Nickerchen-Machen“ feste die Arme um mich gelegt, hat sich mit seinem Unterteil an mir gerieben, am Rücken. Er hat dabei gestöhnt und hastig geatmet. Das hat circa zwei Jahre angedauert.

Zerbrechen wollte ich nicht daran.

Mein Leben war dadurch erheblich beeinflusst und eingeschränkt. Ich wusste lange nicht, was wirklich mit mir los war. Ich bekam regelmäßig Panikattacken. Ich wachte nachts auf und bekam Atemnot. Alles begann sich zu drehen, der Kreislauf war angeschlagen, Ohnmachtsgefühle. Dann kam mit 22 Jahren der Suizidversuch. Mein erster Hilfeschrei. Dass die Missbrauchsgeschichte die Ursache für vieles war, ist mir heute erst klar geworden. Jeder war in den Familien mit sich beschäftigt, nie hatte ich Platz und Raum irgendwo etwas zu erzählen. Oft fühlte es sich an wie Ameisen im Kopf, die Taten wirbelten in meinem Kopf rum. Nirgends durfte es raus. Die Panikattacken waren eine Explosion des Unausgesprochenen und Verdrängten.

Nachdem ich meine erste Therapie angefangen hatte, wusste ich gleich, das ist es, was ich gesucht hatte. Ich suchte jemanden, der mit mir über das Geschehene redet. 32 Jahre war dies verdrängt gewesen. Nun war ich mal dran. Die ersten drei Jahre Therapie habe ich nach jeder Stunde erst mal drei bis vier Tage geheult. Ich bin trotzdem immer arbeiten gegangen. Das war mir wichtig. Aber ich habe lange gebraucht, bis ich überhaupt mal nur Wesentliches in der Therapie erzählt habe. Das hat unendlich viel Kraft gekostet, viel Zeit meines eigentlichen Lebens. Ich hatte eine sehr einfühlsame Therapeutin damals, der ich heute noch dankbar bin.

Ich habe weitergekämpft, bin viel gereist, habe mir mein Leben sehr gut gestaltet. Therapien haben viel verändert. Ich bin immer im Kontakt mit einer Beratungsstelle, lese Bücher zum Thema und habe auch schon ein Seminar besucht, bei dem Betroffene waren. Dies alles hat mir viel gegeben und ich bin froh, dass ich mich viel mit dem Thema beschäftigt habe. Zerbrechen wollte ich nicht daran.