Warum spricht niemand mit mir darüber, was im Winter der späten 1970er-Jahren passiert ist? Warum schweigen alle? Ich kann darüber nicht mit meinen Eltern reden. Keiner fragt, wie es mir damit geht, denn es ist immer noch da: das Gefühl des Ausgeliefertseins. Die Ängste und Panikattacken.

Inzwischen habe ich Enkelkinder und bekomme Panik, wenn sie nur mal um den Block mit dem Rad fahren. Mein Sohn weiß nicht, warum ich dann so reagiere und sagt sich, dass ich empfindlich bin. Ich kann nicht mit ihm darüber reden. Ich möchte meine Ängste nicht auf ihn übertragen. Und wo sollte ich anfangen?

Also, hier meine Geschichte: Es ist Winter. Ich hole meine Schwester aus dem Kindergarten ab, danach gehen wir auf den Hof rodeln. Als es Zeit wird nach Hause zu gehen, nehmen wir den Kellereingang. Ein Mann läuft an uns vorbei, kurz bevor ich abschließen möchte. Ich lasse ihn rein ins Haus und denke, er möchte über den Hof zur Straße hinaus. Als ich abgeschlossen habe, kam er zurück und verging sich an mir. Meine Schwester stand neben mir und musste alles miterleben.


Niemand hat mich gefragt, wie es mir geht.

Als eine Frau ins Haus kam, rannte er weg und ich habe ihr alles erzählt. Die Polizei kam und nahm mich zur Untersuchung mit und hat mich wiederholt befragt. Regelmäßig wurde ich mitten im Unterricht aus der Schule abgeholt von der Polizei, um den Täter zu identifizieren. Dabei wurde ich auf einen Stuhl in einer Kammer gestellt, die Tür hatte eine Scheibe, ich konnte hindurchschauen, der Täter sah in einen Spiegel. Das war schrecklich in dieser Kammer, was einem Kind da zugemutet wurde. Es war auch schrecklich, vor allen Schülern immer wieder von der Polizei abgeholt zu werden. Ich habe ihn irgendwann wiedererkannt.

Die einzige Folge war, dass ich für einige Zeit den Müll nicht mehr runterbringen musste, da der Weg durch den Keller führte. Ich habe meine Eltern angefleht wegzuziehen, weil ich immer Angst hatte, dass er zurückkommt. Gespräche mit meinen Eltern fanden nicht statt, das Thema war tabu. Niemand hat mich gefragt, wie es mir geht. Ich habe von niemandem Unterstützung erfahren.

Heute rede ich manchmal mit meiner Schwester darüber, und sie kann sich an alles genau erinnern. Es hat sich bei ihr auch eingebrannt. Sie sind die erste fremde Person, der ich mich anvertraut habe, und ich finde es gut, dass darüber geschrieben wird. Ich dachte bisher, dass es nur mir so erging. Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, es zu hinterfragen, und dass es vielen in der DDR so erging.