Als 17-Jähriger besuchte ich Anfang der 1980er-Jahre eine psychosoziale Beratung. Ich benötigte Coming-Out-Hilfe. Nachdem sich der Berater anfangs warmherzig und verständnisvoll gezeigt hatte, besuchte ich ihn bald öfter bei ihm zu Hause. Er näherte sich mir körperlich an, wurde zärtlich mit mir.

Beratung war kein Thema mehr. Ich empfand ihn als eine Art Mentor, als erfahrenen Verbündeten in einer mir noch recht fremden Welt. Dann kam es zu einem sexuellen Kontakt. Dabei bekam er aber von mir nicht alle Wünsche erfüllt. Er rächte sich, indem er wieder als Berater auftrat. Mit der Autorität und Überzeugungskraft der Beraterrolle schiss er mich zusammen wie ein autoritärer Lehrer: Er attestierte mir „große Probleme“ und verhöhnte meinen Wunsch nach einem gleichaltrigen Partner. Er tadelte mich wegen eines Flirts, als hätte ich etwas Verbotenes getan und warf mir vor, „fremdbestimmt“ zu sein. Er verwarf all meine Äußerungen, Sehnsüchte und Pläne. Dabei mahnte er mich, ich müsse mich „verändern“ und mich „Auseinandersetzungen“ stellen, Flucht sei keine Lösung. Er versicherte mir, die von ihm geleitete Selbsterfahrungsgruppe werde mir helfen „weiterzukommen“.

Ich nahm ihm den „Berater“ ab, ich glaubte an die Professionalität seines Konzepts. Über drei Jahre blieb ich in seiner Selbsterfahrungsgruppe. Alle Auseinandersetzungen mit ihm endeten damit, dass er seine Deutungshoheit durchsetzte. Es gelang ihm stets, seinen Kontrahenten als unfair oder lächerlich erscheinen zu lassen. Schließlich sagte ich nur noch, was er hören wollte, dann fühlte ich mich stark und unverwundbar. Der Ausdruck Gehirnwäsche ist nicht übertrieben. Ich habe Anlass zu der Annahme, dass ich kein Einzelfall war.


Ich werfe ihm vor, dass er die Beratung missbrauchte.

Ich besitze eine Art Dokumentation, die mir der Berater selbst übergab. Darin werden die Ereignisse in einer Kirchengemeinde beschrieben, in der er als Jugenddiakon beschäftigt war. Die Kirchengemeinde warf ihn nach der Probezeit raus, weil er sehr offensiv mit dem Thema Sexualität umgegangen war. Es gab heftige Kontroversen über seine Person. Er mobilisierte die Jugendlichen der Gemeinde zu mehreren Solidaritätskundgebungen zu seinen Gunsten. Ein Kirchenvertreter meinte dazu: „Sie waren Wachs in seinen Händen.“

Der Berater hatte die Beratungsstelle vor allem deshalb mitgegründet, um sich seine sexuellen Wünsche erfüllen zu können. Mit schauspielerischem Talent inszenierte er sich als der Berater, der er nie war, und gewann Kontrolle über die unerfahrenen Jugendlichen. Sein rhetorisches Geschick nutzte er, um durch schiefe Metaphern und das Zurechtbiegen der Wahrheit jede Auseinandersetzung zu gewinnen. Ich werfe ihm vor, dass er die Beratung missbrauchte, um mich und andere Jugendliche zu manipulieren und zum Sex zu gewinnen.