Ich habe in einer Schule für blinde und sehbehinderte Menschen über mehrere Jahre am Stück sexualisierte Gewalt erlebt. Oft hat man das Bild davon, dass es in Einrichtungen für behinderte Menschen recht ordentlich zugeht. Aber da täuscht sich die Gesellschaft. Denn genau dieser Glauben, wir würden in solchen Strukturen geschützt, lässt die Täter seelenruhig weiter agieren, ohne dass dies Konsequenzen nach außen hätte.

Die sexuellen Übergriffe passierten über zwei Jahre lang, tagtäglich – und am hellichten Tag. Die Übergriffe fanden auf Schultoiletten, in leeren Klassenzimmern oder irgendwo anders in der Schule statt. Und ja, die Lehrer wussten es. Einmal wurde der Täter von der Schulleitung sogar dabei beobachtet, wie er mit mir ins Mädchenklo verschwand. Ich spürte so viel Erleichterung, weil ich dachte, der Schulleiter setzt dem jetzt ein Ende. Ich dachte, er würde den Täter jetzt endlich stellen, ihn sogar der Schule verweisen. Doch nichts passierte.

Er fragte den Täter nur, ob er denn wisse, dass dies hier eine Mädchentoilette ist. Der Täter sagte daraufhin, dass mir, er sagte damals „meiner Freundin“, schlecht sei und er deshalb aus Sicherheitsgründen die Begleitung zur Toilette vorziehe. Ich setzte alles darauf, dass der Schulleiter ihm keinen Glauben schenken würde. Doch es passierte nichts. Er nickte ab, sagte noch „Alles klar“, als wäre es das Normalste der Welt, und ging wieder raus. Kurz darauf verging sich der Täter wieder an mir und bekräftigte das mit: „Siehst du, niemand wird dir helfen. Du hast nur mich.“

Und so ging es Tag für Tag. Besonders vorsichtig musste er gar nicht sein. Er hatte das Personal auf seiner Seite. Zu viel Geld und der gute Ruf standen auf der Kippe, würden die Spender erfahren, dass in dieser Schule Schüler*innen sexualisierte Gewalt erleben …

Mein jetziges Leben habe ich mir gewiss anders vorgestellt. Und es macht mich so fassungslos, dass es alles Dinge sind, die hätten verhindert werden können, wenn man hingesehen hätte.

Ich selbst war schon lange gebrochen. Heute bin ich noch keine 30 und in Erwerbsminderungsrente. Ich habe eine komplexe Posttraumatische Belastungsstörung sowie zahlreiche dissoziative Störungen, u.a. eine Dissoziative Identitätsstörung. Lange hielt ich die Übergriffe für normal. Weil dem niemand ein Ende setzte. Weil die Lehrer, denen ich vertrauen sollte, die mich schützen sollten, schwiegen. Nein, sie schwiegen nicht nur, sie rannten davor weg. Vor den Taten und vor der Verantwortung. Zu schnell würde die Öffentlichkeit ihnen im Nacken sitzen. Denn schließlich ist und war die Schule auf Spenden des Staates und anderer reicher Personen angewiesen.

Bitte, schaut hin, hört zu und glaubt Betroffenen. Kein Kind dieser Welt würde zu euch laufen und offen sagen: „Ich werde vergewaltigt, und das jeden Tag.“ Es sind viel subtilere Anzeichen. Und jede verdammte Schule, die mit Kindern arbeitet, vor allem jene, die die Verantwortung für behinderte Kinder übernehmen, müssen besser geschult darin werden. Sie dürfen sich nicht des Geldes oder des Rufes wegen scheuen, dazu zu stehen. Sexuelle Gewalt passiert überall. Auch da, wo man glaubt, das Kind sei besonders gut geschützt. Und alle, die glauben, man wäre dort sicher und das mit einer lächerlichen Spende abtun, sind Teil des Problems!

Mein jetziges Leben habe ich mir gewiss anders vorgestellt. Und es macht mich so fassungslos, dass es alles Dinge sind, die hätten verhindert werden können, wenn man hingesehen hätte, wenn man nicht gegangen wäre, wenn man einfach nur mal das Kind selbst gefragt hätte, ob alles ok ist. Wenn man zugehört, hingesehen und geglaubt hätte.