Im 10. Schuljahr wurde ich immer wieder in Freistunden und Pausen von zwei Jungen abgepasst. Beide Schüler waren sitzengeblieben und daher ein Jahr älter und deutlich stärker als ich. Manchmal waren sie zu dritt mit einer Person, die ich nicht kannte und die vermutlich nicht von der Schule war.

Damals lebte ich noch in meiner alten Geschlechteridentität, nämlich als Junge. Die Vorfälle begannen mit Beschimpfungen bezogen auf mein feminin codiertes Verhalten, auf meine langen Haare oder auf die Freundinnen, mit denen ich mich gerne umgab. Nach und nach kam körperliche Gewalt dazu, schubsen, Bein stellen oder wegziehen, wobei ich einmal eine halbe Etage einer Steintreppe heruntergefallen bin. Bei einem Zwischenfall ging meine Brille kaputt, auf die ich angewiesen war, um mich zu orientieren.

Irgendwann eskalierte die Situation. Die drei bedrohten mich und brachten mich in leere und etwas abgelegene Räume. Dort begannen die sexuellen Übergriffe. Mindestens einmal wurde ich mit einem Messer bedroht. Immer wurde ich verspottet und als Schwuchtel bezeichnet. Oft wurde ich in dem Zusammenhang geschlagen, in den Magen oder Unterleib geboxt. Als ich einmal weinend am Boden lag, stellte die dritte Person einen Fuß auf meinen Kopf und drohte damit mich fertig zu machen, wenn ich etwas sage.

Über mehrere Monate lebte ich nur für das Wochenende und hatte in der Schule Angst. Wochen ohne Vorfälle waren selten. Ich blieb vereinzelte Tage zuhause. Gerade Tage mit Sportunterricht waren für mich belastender als sonst, da ich mich dort körperlich besonders exponiert fühlte. Oft konnte ich den Unterricht nach einem Vorfall auch nicht fortsetzen, weil ich mit dreckiger Kleidung, verheult, mit Schmerzen und oft auch Verletzungen nach Hause laufen musste. Ich fühlte mich dreckig und voller Scham.

Die Vertrauenslehrerin frage mich, was sie denn tun sollte. Das wäre ja wohl etwas, das wir Gleichaltrigen besser unter uns klären sollten.

Ich wandte mich an eine Vertrauenslehrerin. Ich berichtete ihr von der körperlichen Gewalt und dem Mobbing. Was die sexuellen Komponenten anging, hatte ich zu viel Scham und wusste teilweise gar nicht, wie ich das, was dort passiert ist, beschreiben sollte. Ich habe aber klar gemacht, dass ich mich nicht mehr sicher fühle. Sie fragte mich, was sie denn tun sollte. Das wäre ja wohl etwas, das wir Gleichaltrigen besser unter uns klären sollten - es würde ja nur noch schlimmer, wenn sich Erwachsene einmischten. Sie konzentrierte sich darauf, darzustellen, wie viel Unterricht ich verpasst hätte. Sie machte mir klar, dass in diesem Alter ein gewisses Gerangel und Konflikte normal seien - gerade zwischen Jungs. Dass ich mich selbst nicht als Junge sah, konnte ich nicht zum Ausdruck bringen. Ich fühlte mich alleine gelassen, ausgeliefert und hilflos.

Auch bei meinen Eltern fand ich keinen Schutz. Ich wollte ihnen keinen Kummer machen und wusste nicht, wie ich ihnen das Ausmaß der ganzen Geschichte verständlich machen sollte. Ich erfand immer wieder Erklärungen und Ausreden für meine Verletzungen und dreckigen Sachen. Ihnen war klar, dass ich einen „schweren Stand“ hatte und viel „gehänselt“ wurde. Vieles wurde meinem Anders-sein zugesprochen, welches schon Ausdruck meiner Transidentität war.

Meine Leistungen und meine Konzentrationsfähigkeit in der Schule sind unmittelbar in Verbindung mit den Taten eingebrochen. Ich habe nur mit viel Wohlwollen einiger Lehrpersonen und Aufmerksamkeit außerhalb des Unterrichts mein Abitur geschafft.

Für mich haben die Taten lebenslange Konsequenzen: Angst, Symptome von post-traumatischem Stress, Probleme mich in der Gesellschaft unbefangen zu bewegen. Für die Täter hatten die Taten keine offensichtlichen Konsequenzen - erst recht keine direkten. Ihr Verhalten wurde sogar noch dadurch bestätigt, dass ihnen nichts entgegenstand.

Seit etwa zwei Jahren lebe ich in meiner echten Geschlechteridentität mit meiner Frau zusammen. Ich teile meine Geschichte in der Hoffnung, dass zukünftige Generationen von Vertrauenspersonen an Schulen die Ausbildung und die Mittel erhalten, um zu verstehen, zu reagieren und bestenfalls zu verhindern, was mir passiert ist.