Ich besuchte die sechste Klasse, unser Alter lag dementsprechend zwischen zehn und dreizehn Jahren. Sport wurde zu dem Zeitpunkt in gemischt-geschlechtlichen Klassen unterrichtet. Der Sportunterricht wurde in einer Sporthalle ca. 15 Minuten entfernt vom eigentlichen Schulgelände abgehalten. Die Übergriffe fanden während des Sportunterrichts und den Umkleidezeiten statt.

Unser Sportlehrer nutzte während des Sportunterrichts mehrfach die Gelegenheit bei Hilfestellungen an intime Körperstellen zu fassen. Hauptsächlich ist mir das Bockspringen und Gymnastik am Kasten präsent in meinen Erinnerungen. Bei Hilfestellungen befand sich seine Hand entweder am Hintern um „Schwung“ zu geben, obwohl dies nicht notwendig gewesen wäre, oder mit flacher Hand am Oberkörper auf der Brust um resultierende schwungvolle Sprünge abzubremsen. Außerdem betrat er ungewollt die Sportumkleide der Mädchen während des Umziehens. Bei Aufforderung von Mitschülerinnen, die Intimsphäre zu wahren, z.B. mit der Aufforderung „Bleiben Sie draußen, wir ziehen uns um!“, diffamierte er uns als zickige Mädchen und blieb in der Mitte der Umkleide einfach stehen, während wir uns bedeckten. Für uns bestand leider nicht die Möglichkeit die Tür zu verschließen.

Selbst mit ihm allein in einer Ecke zu sprechen, während in der Sporthalle normale Übungen abgehalten wurden, war sehr unangenehm. In Gesprächen mit den Mitschülerinnen kristallisierte sich dieses allgemeine Unwohlsein sehr schnell heraus. Hinzu kamen seine stark rassistischen Äußerungen und Handlungen. Selbst nach unseren Einsprüchen wurde dieses Verhalten nicht unterlassen. Während es in meiner Kindheit seinerzeit vor allem sehr unangenehm war und Grenzüberschreitungen nicht klar waren, erzeugt es für mich heute einfach nur Ekel und Unverständnis für dieses Verhalten und den Missbrauch seiner Autoritätsposition.

Hauptsächlich war nicht klar, dass Unrecht passiert und an wen man sich wenden soll.

Ich habe darüber oft mit Mitschülerinnen und Freundinnen gesprochen, da wir alle davon betroffen waren. Mit meinen Eltern habe ich nicht geredet. Im Nachhinein kann ich meinen Beweggründen zur Verschwiegenheit nicht mehr genau nachfühlen. Hauptsächlich war nicht klar, dass Unrecht passiert und an wen man sich wenden soll. Eindeutig spielt mit rein, dass die verschiedenen Formen sexualisierter Gewalt ein tabuisiertes Thema waren. Ich verband sexuelle Gewalt damals nur mit Vergewaltigung und schweren körperlichen Missbräuchen. Dass es unrecht war, was im Sportunterricht passierte und es definitiv zur Schulleitung hätte getragen werden müssen, habe ich erst viel später realisiert. Keiner von uns wusste, was der richtige Schritt gewesen wäre, das Thema anzusprechen. Wir haben es einfach hingenommen.

Das Problem hat sich dann mehr oder weniger gelöst, da wir ab der siebten Klasse geschlechtergetrennten Sportunterricht mit einer Sportlehrerin hatten und dieser Lehrer in Rente gegangen ist.

Leider war für mich Aufklärung über sexuelle Gewalt mit den verschiedenen Facetten nicht Teil meiner schulischen Ausbildung. Ich würde mir wünschen, dass es mehr Aufklärung gibt und Kinder bestärkt werden, sich mit ihren Körpern und Grenzen der Intimität auseinanderzusetzen. Es sollte als Stärke und Normalität gelten, aussprechen zu können, was man fühlt und nicht als Schwäche angesehen oder zu einem Opferstigma führen. Dazu bedarf es auch entsprechender Anlaufstellen mit geschulten Vertrauenspersonen.

Dass es einen Einfluss auf meine Entwicklung genommen hat, würde ich erst einmal verneinen. Letztendlich haben wir uns gegenseitig aufgefangen und ich hatte ein stabiles Umfeld und Freunde. Für Mitschüler sind wir aufgestanden und haben uns solidarisiert.