Mein Martyrium begann kurz nach dem Wechsel auf das Gymnasium Anfang der 1990er-Jahre. Ich bin in der ehemaligen DDR groß geworden und habe dort meine Grundschulzeit verbracht. Dann kam der politische Umbruch. Wir waren der erste Jahrgang der DDR-Schüler, welcher ab der 5. Klasse das neue System durchlaufen würde. Alles war von Unsicherheit geprägt, ich selbst, meine Familie, die Lehrer.

Ich besuchte nun das Gymnasium. Relativ schnell kam es zu sehr privaten Gesprächen mit unserem Sportlehrer. Natürlich fühlte ich mich als kleines Kind geschmeichelt. Gegen Ende des Jahres begannen dann erste Berührungen. Immer öfter kam es vor, dass mein Peiniger mich nach der Schule zu unbeobachteten Orten kommen ließ. Es waren nur wenige Minuten, sodass auch zu Hause kein Zuspätkommen oder Ähnliches bemerkt wurde.

Dann änderte sich sein Vorgehen und er sprach Drohungen aus, sollte ich seinen Wünschen nicht nachkommen. Diese Drohungen waren gegen das Leben meiner Familie gerichtet, was ein Darüber-Reden oder Weigern für mich unmöglich machte. Ab diesem Zeitpunkt kam es zu Vergewaltigungen. Zunächst in größeren Abständen. Da er zwischenzeitlich auch der Trainer unserer Sport-AG geworden war und der Zustand anhielt, entschied ich mich irgendwann, den Sport im Verein auszuüben, um wenigstens dort vor ihm sicher zu sein. Der Missbrauch fand jedoch weiter statt. Seine Bedrohungen wurden mit zunehmender Dauer immer härter. In diesen Situationen waren stets Messer oder ähnliche Gegenstände sein Druckmittel. Dann hörte der Missbrauch schlagartig auf. Es kamen keine Drohungen mehr. Allerdings war meine Seele zerstört. Ich blendete diese ganzen Sachen aus. Es gab sie nicht in meiner damaligen Erinnerung. Meine Psyche entschied, mich davon abzugrenzen. Ich weiß durch spätere Gespräche, dass äußerlich nichts darauf hingewiesen hat. Ich habe mit Schulfreunden gesprochen und viele Jahre später auch mit zwei Lehrern der Schule.

Eine Anzeige war aufgrund von Verjährung nicht mehr möglich.

Nach mehreren Suizidversuchen, vielen stationären Psychiatrie-Aufenthalten kamen die Erinnerungen zurück. Diese bekämpfte ich über viele Jahre mit schwersten Selbstverletzungen. Ich wurde als vollerwerbsgemindert aufgrund meiner seelischen Erkrankung eingestuft. Erst zwei Therapien auf einer Traumastation haben mir eine fragile psychische Sicherheit gebracht. Im Rahmen dieser Therapien wurde ich auch ermutigt, Anzeige zu erstatten und Opferentschädigung zu beantragen. Eine Anzeige war aufgrund von Verjährung nicht mehr möglich. Die Opferentschädigung wurde nach mehreren Jahren abgelehnt, weil keine Anzeige bei der Polizei erfolgt war. Als Kind war dies für mich nicht im Bereich des Machbaren und später aufgrund der Verjährung nicht möglich. Wenn die Geschichte dabei hilft, nur einem Kind etwas Derartiges zu ersparen, dann hat es sich gelohnt, sie aufzuschreiben.