Es war Anfang der 1970er-Jahre. Ich war etwa 15 Jahre alt, und der Missbrauch zog sich über sechs bis acht Monate hin. Wir waren damals eine Clique von mehreren Jungen. Der Onkel eines der Jungen lud uns in seine Wohnung ein. Das war verlockend, da der Onkel sehr wohlhabend war. Wir konnten dort mit dem Moped fahren und andere teure Spielsachen wie eine Carrera-Rennbahn nutzen. Nach einigen Besuchen kam es zu sexuellen Übergriffen, die der Onkel damit begründete, dass ich von ihm materielle Vorteile genossen hätte. Während der Besuche hatte er auch mit einem seiner Neffen sexuellen Kontakt. Der Mann war verwitwet und hatte eine gesellschaftlich gefestigte Position.

Ich kann mich daran erinnern, dass ich nach der ersten Tat sehr schockiert war. Ich sprach damals mit seinen Neffen darüber. Sie beruhigten mich und hielten mir die Vorteile des „Abkommens“ vor Augen. Ich hatte nie den Mut, mit meinen Eltern über die Angelegenheit zu reden. Meine Eltern haben mich damals noch mit den anderen Freunden zu der Wohnung gefahren. Ich bin mir absolut sicher, dass sie nicht gewusst oder auch nur geahnt haben, was dort geschehen ist. Sie haben aber auch nie konkret nachgefragt, was wir denn dort machen. Ich würde mir wünschen, dass das soziale Umfeld und besonders die Eltern besser auf die Signale, die ihre Kinder aussenden, achten und gezielt nachfragen. Ich wäre misstrauisch geworden und hätte doch die Beweggründe des Herren versucht herauszufinden. So hat sich mir nie die Gelegenheit geboten, mich doch einmal aus dem Gespräch heraus anzuvertrauen.

Er musste sich seiner Strategie sehr sicher gewesen sein.

Ich habe keine gesundheitlichen Schäden davongetragen, es wurde auch niemals Gewalt angewendet. Dem Mann ist es gelungen, uns durch seelische Einschüchterungen und materielle Geschenke gefügig zu machen. Da mehr als eine Person von den Übergriffen wussten, musste er sich seiner Strategie sehr sicher gewesen sein. Ich glaube nicht, dass die Ereignisse Auswirkungen auf meine schulische und berufliche Laufbahn genommen haben. Ich habe Abitur gemacht und bin leitender Angestellter in gesicherter Position. Ich bin verheiratet, habe drei erwachsene Kinder. Meine Familie sagt mir ein starkes Schutzbedürfnis für alle Familienmitglieder nach. Ich fahre heute noch meine erwachsenen Kinder zu Feierlichkeiten und habe meine Söhne viele Jahre als Jugendbetreuer begleitet, um sie nicht aus den Augen zu lassen.

Ich selbst habe mit dem Verursacher meinen Frieden geschlossen. Er ist schon lange tot, und ich habe keinen Hass auf ihn. Vermutlich war er ein sehr einsamer Mensch ohne Familie. Das darf natürlich nicht diese Taten entschuldigen, aber mir hat diese Sicht der Dinge geholfen, das besser zu verarbeiten.