Ich bin in den 1990er-Jahren zwischen meinem 12. und 14. Lebensjahr von einem Bekannten meiner Eltern sexuell missbraucht worden. Es fing im Sommer an, wir waren oft im Freibad und meine Mutter traf dort einen alten Bekannten wieder, den sie mir unbedingt vorstellen wollte. Was mir noch ganz genau in Erinnerung geblieben ist, war dieses komische Ziehen in der Magengegend, als er mich begrüßte und mich von oben bis unten musterte.

Das schob ich aber gleich wieder weg, das muss Einbildung oder Zufall gewesen sein. Jedenfalls trafen wir ihn von da an öfter, man kam ins Gespräch, er fragte mich nach meinen Hobbys, Interessen, Schule usw. Das war neu für mich, das kannte ich von zu Hause nicht, dass interessierte daheim niemanden. Meine Eltern waren ja immerzu mit Streiten beschäftigt. Oft eskalierte das Ganze bis in die frühen Morgenstunden. Meine Mutter hat eine narzisstische Persönlichkeitsstörung und mein Vater ließ sich alles gefallen, und wenn er es nicht mehr aushielt, ist er abgehauen.

Jedenfalls hat das dieser Täter bemerkt und schnell Anknüpfungspunkte gefunden, er gab mir das Gefühl wichtig zu sein, er wusste, dass ich Freude an Sport hatte und schlug meiner Mutter vor, mir das Schlittschuhlaufen beizubringen. Sie war sofort einverstanden, war er doch ein toller Typ. Sie selbst hatte zu dem Zeitpunkt schon Affären und somit freie Zeit zur Verfügung.

Sie sagte, das bilde ich mir nur ein und dieser Mann wäre doch so nett.

So fing der Missbrauch schon nach dem Abholen im Auto an. Er fasste mir unvermittelt im Gespräch an die Brust, was mich erst mal sprachlos machte. Bei der Rückfahrt war ich so verstört, weil ich das nicht benennen konnte, dass ich erst einmal schwieg. Er steigerte das Ganze dann peu à peu, indem wir nach dem Schlittschuhlaufen zu ihm nach Hause fuhren. Er wollte dann öfter duschen, damit wir wieder schön aufgewärmt sind. Er glotzte mich unentwegt an und wusch seinen Penis und sagte, wie groß dieser wäre, er gab mir Zungenküsse, mir ekelte. Dann legte er sich mit mir ins Bett und berührte meine Brüste und schob seine Finger in meine Scheide, das tat mir oft weh, ich spürte die Rauheit und die Fingernägel. Das ging fast jede Woche so.

Meiner Mutter habe ich mich nach langem Ringen anvertraut. Sie sagte, das bilde ich mir nur ein und dieser Mann wäre doch so nett und hätte mir schon so vieles geschenkt, das könnte ich nicht machen, ich würde ihn dann verärgern. Da bin ich zum ersten Mal seelisch gestorben. Schon Monate vorher hatte ich in einem gemeinsamen Urlaub geäußert, dass irgendetwas nicht stimmt. In diesem Urlaub kam er in einer Gemeinschaftsdusche zu mir und behauptete, er komme mit der Temperaturregelung nicht zurecht. Natürlich waren wir beide nackt, da hat er sich wohl schon ein Bild von mir gemacht.

Jedenfalls musste ich weiter mitfahren und er nahm mich ein weiteres Mal mit nach Hause und sagte, er würde heute eine richtige Frau aus mir machen und streifte sich ein Kondom über. Ich habe währenddessen die Decke angestarrt und war irgendwann nicht mehr in meinem Körper, sondern habe von oben zugeschaut. Dann hatte ich große Schmerzen und stieß ihn weg. Danach hat er mich nach Hause gebracht und zu meiner Mutter gesagt, ich hätte Bauchschmerzen und wollte heim. Ich habe mich dann ins Badezimmer eingeschlossen, meine Mutter hat keinerlei Verdacht geschöpft; am nächsten Tag sagte ich ihr, dass ich nie wieder mit ihm mitfahre.

Der Täter wurde nie angezeigt, als ich den Mut hatte, war er bereits verstorben. Noch heute leide ich unter Migräne, Unterleibsbeschwerden, Schlafstörungen etc. Vor zehn Jahren musste ich eine Krebserkrankung durchmachen. Trotzdem führe ich ein erfülltes Leben mit zwei tollen Kindern und einem Mann, der zu mir steht. Ich mache meine Geschichte öffentlich, um zu zeigen, dass man, wenn man Kindern richtig zuhört, sie ernst nimmt und ihnen Glauben schenkt, vieles verhindern und damit Leid abwenden kann. Ich wünsche mir, dass die Gesellschaft mehr hinsieht, weil eben nicht jeder Eltern hat, auf die er sich verlassen kann, es sind ja oft sogar die eigenen Eltern, die einen in irgendeiner Weise missbrauchen. Deswegen lautet mein persönlicher Appell: Hinsehen! Zuhören! Nachfragen! Handeln!