Ich bin in einer Familie mit viel Gewalt aufgewachsen, mit der Angst einmal totgeschlagen zu werden. Für mich war der Missbrauch nicht schön, aber was mich verzweifeln ließ, war das Alleinsein damit.

Zwischen dem elften und dem 13. Lebensjahr wurde ich von einem alleinstehenden Nachbarn sexuell missbraucht. Das dauerte ca. 1½ Jahre. Zunächst fing alles ganz harmlos an. Ich bekam Geschenke und durfte in der Werkstatt mitarbeiten, wir bauten ein Gokart. Dann begann es damit, dass der Mann mir sein Glied zeigte und onanierte. Dies weckte in mir Abscheu und gleichzeitig Neugier. Später kam es dann bei ihm zu Hause zu sexuellen Handlungen. Während es zu Beginn zu gelegentlichen Übergriffen kam, war es später ein fester Ablauf. Erst Bett, dann Werkstatt, oder nur Bett und keine Werkstatt mehr.

Ich fand sein Schlafzimmer eklig und dreckig, ich fand seine Gleitcreme eklig und stinkig. Mehrfach wollte er mich zu Oralverkehr zwingen, dabei habe ich ihn und sein Bett vollgekotzt, danach hat er dies nicht mehr verlangt. Ich sollte ihn regelmäßig mit der Hand befriedigen. Als er in mich eindringen wollte, habe ich einen Heulanfall bekommen und er hat von mir abgelassen. Ich konnte mir Geschenke wünschen und kam mir manchmal groß und mächtig vor. Dann überkam mich wieder Ekel und Abscheu. Ich habe ihn erpresst, indem ich sagte, wenn ich das oder das nicht bekäme, würde ich erzählen, was er mit mir macht. Er sagte mir, wenn ich nicht weitermachen würde, würden andere erfahren, was ich gemacht hätte und meine Eltern, die er kannte, würden alles erfahren. Die Angst vor meinen Eltern war sein größtes Pfand. Ich weiß nicht, ob er auch meinen Bruder missbraucht hat. Das Thema ist bis heute absolutes Tabu.

Es war undenkbar, über das Erlebte zu reden.

Mein Vater neigte zu heftigen Gewaltausbrüchen. Es kam zu Misshandlungen mit Kernlederriemen, Hakenstielen oder Tritten und Schlägen aller Art. Einmal stellte sich meine Mutter dem tobenden Vater in den Weg und schrie: ,,Du schlägst mir den Jungen nicht tot!“ Daraufhin schlug mein Vater meine Mutter und sie brach zusammen. Ich hatte mich unter der Couch verkrochen und sah meine Mutter im Blut liegen. Ich wusste nur, er darf mich nicht finden. Später hat mein Vater die bewusstlose Mutter ins Bad geschleift und dort mit kaltem Wasser übergossen. Als ich sie schreien hörte, fiel mir ein Stein vom Herzen, denn sie lebte noch. Dieser Vorfall wurde als häuslicher Unfall ausgegeben.

Das Schlimme war, niemanden zum Reden zu haben. Ich sehnte mich damals nach Schutz. In der Schule fühlte ich mich einigermaßen sicher, obwohl ich ein Außenseiter war. Aber es war undenkbar, über das Erlebte zu reden. Niemals hätte ich mich an die Polizei gewandt, weil die ja dann Kontakt mit meinen Eltern aufgenommen hätte. Ich denke, dass viele Opfer aus nicht intakten Familien kommen, weil es die Täter mit Kindern aus schwierigen Verhältnissen leichter haben. Auch ich bin in die Falle getappt, weil mich anfängliche Aufmerksamkeit und Fürsorge angesprochen haben und ich im Täter so etwas wie einen Freund gesehen habe.

Der Täter wurde irgendwann verhaftet und es wurde gegen ihn ermittelt, aber es war für mich immer noch unvorstellbar, mit meinen Eltern darüber zu sprechen. Das Befragen meiner Eltern, ob da auch etwas mit mir und meinem Bruder gewesen sei, war eine der schlimmsten Erfahrungen meines Lebens. Ich hätte gern über die Schule einen Hinweis bekommen, an wen ich mich wenden kann. Ich bin überzeugt, dass Anlaufstellen und Schutzstellen einen Sinn machen. Solche Stellen sollten in der Schule bekannt gemacht werden. Mir hat so etwas total gefehlt.