Ich möchte meiner Stimme heute Ausdruck verleihen, obwohl ich mir unsicher bin, wie weit ich für Sie ins Detail gehen darf. Ich war 15 oder 16 Jahre alt und auf dem Weg durch den Keller eines Hauses zum Hof. Ich habe meinen Freund gesucht, da war im Keller der alkoholisierte Nachbar und griff mich.

Nachdem ich mich befreien konnte, erzählte ich meinem Freund, was geschehen war. Er schlug mich daraufhin, mehrmals. Ich rannte in Schock und Panik nach Hause und erzählte meinem Vater, was passiert war. Nichts, er ließ mich stehen. Vor zwei Jahren erfuhr ich auf einem Klassentreffen, dass es einer Mitschülerin mit diesem Mann ebenso ergangen war. Aber ihre Mutter hat was getan. Sie hat diesen Mann angezeigt. Das Verfahren wurde eingestellt, ohne jegliche Konsequenzen für diesen erwachsenen Menschen. Dieser Mann hat mir immer gedroht, wenn er mich sah: „Ich erwische Dich, der zweite Akt folgt noch.“

In den 1980er-Jahren studierte ich. Einer unserer Lehrer leitete die AG Tennis. Tennis war eher ein Sport des Westens. Ich ging einmal zum Tennistraining und bemerkte, dass er mir mehr als nötig zu nahe kam. Nie wieder ging ich zum Training. In einer Pause wurde ich ins Lehrerzimmer zitiert. Ich sollte Platz nehmen, auf seinem Schoß. Alles ging sekundenschnell, er öffnete seine Hose, holte sich einen runter, machte sich sauber, dann durfte ich abtreten. Ich war wieder im Schockzustand und sprach mit niemandem darüber.

Heilung ist ein langer Prozess.

Einige Zeit später lud er mich ein: Er wolle mich in ein schönes Restaurant ausführen. Mir war klar, da stimmt was nicht. Aus Angst vor weiteren Konsequenzen und durch den eingetrichterten Gehorsam, stieg ich irgendwann in das Auto. Wir fuhren und fuhren, es wurde waldiger und dunkler. Kein Restaurant, kein Haus in Sicht. Er verlangte, dass ich ihn oral befriedigte und langte mich an. Ich sagte, dass ich das alles nicht wolle, dann wurde es dunkel in mir, Blackout. Ich kann mich nicht erinnern, nicht an die Rückfahrt zum Wohnheim, nicht, wie es mir ging. Ich bin mir sicher, dass ich nicht das einzige Opfer dieses Lehrers war. Ich sprach mit niemandem darüber. Auf meine Familie konnte ich mich nicht verlassen. Zuhören, da sein, Verständnis haben, das gab es in meiner Familie nicht. Dem Staat, der Polizei war in der DDR auch nicht zu trauen, damit hatte ich genug eigene Erfahrungen. Als Mensch, als Frau quälen mich zudem Schuld- und Schamgefühle.

Ich bin berufstätig, lebe allein. Ich habe Ängste, fühle mich von Menschen bedroht. Mir fehlt das Vertrauen in mich, in andere Menschen, ins Leben. Ich finde es gut und bin dankbar, dass es in unserem Staat die Möglichkeit gibt, sich Hilfe zu holen. Eine Begrenzung auf 100 Therapiestunden finde ich nicht gut. Heilung ist ein langer Prozess. Erst wenn das Innenleben verstanden hat, dass es vorbei ist, kann sich Erleichterung einstellen.