Ich wurde in den 1960er-Jahren geboren. Ich glaube nicht, dass ich von meiner Mutter gewollt war. Ich habe mich oft in meiner Kindheit gefragt, was mit mir nicht stimmt. Ich versuchte alles, um meiner Familie zu gefallen. Ich brachte nur gute Noten nach Hause, war Klassenbeste. Ich bekam keine Liebe und keine Aufmerksamkeit, meine Großeltern hassten mich und das sagten sie mir mehr als einmal. Warum? Ich durfte auf keine Kindergeburtstage, keine Kinder durften zu mir nach Hause. Ich war immer allein.

Wenn ich heute ein Foto von mir sehe, sehe ich ein kleines Mädchen mit Sommersprossen und roten Haaren. Ich sehe ein Kind und ich kann nicht verstehen, wie man so mit einem Kind umgehen konnte. Der einzige Halt war mein Vater, der aber mit sich selbst genug zu tun hatte. Er war Alkoholiker. Oft eskalierte zu Hause die Situation und ich musste mich zwischen meinen Vater und meine Mutter stellen, damit er sie nicht mehr schlägt, würgt und in den Bauch tritt. Ich war die Einzige, die meinen Vater stoppen konnte.

Ich liebte es, mit ihm sonntags in den Gartenverein zu gehen. Dort konnte ich Kind sein und durfte mit anderen Kindern spielen. Mein Vater hatte eine Kaninchenzucht und tauschte mit einem Gartenkollegen oft Futter und Heu aus. Ich kannte den netten Onkel, seit ich denken kann. Der nette Onkel zeigte mir seine kleinen Kaninchen und meine Mutter saß nebenan. Er stank widerlich nach Schnaps und Urin. Am Anfang presste er mich nur gegen sein Geschlechtsteil und rieb sich an mir, das ging schneller, weil meine Mutter ja nebenan war. Als ich älter wurde, wurden die Übergriffe massiver.


Noch heute kann ich jede Einzelheit des Raumes beschreiben.

Mit acht Jahren erzählte ich meiner Mutter davon. Ich nahm allen Mut zusammen, trotz seiner Drohungen, man würde mich ins Heim stecken. Meine Mutter glaubte mir nicht, sie schlug mich für die Lügen mit einem Kochlöffel. Sie drohte mir, dass ich ins Heim kommen und alle Leute mit den Fingern auf uns zeigen würden. Die Polizei war öfter wegen häuslicher Gewalt bei uns und meine Mutter wollte nicht noch mehr in die Öffentlichkeit gerückt werden. Sie verbot mir, jemals wieder davon zu reden und genau das tat ich auch, bis ich 38 Jahre alt war.

Sie schickte mich weiter zum Onkel, um Heu und Futter zu tauschen. Und er nutzte jahrelang jede Gelegenheit. Irgendwann lernte ich: Wenn ich aus dem Fenster schaue und die Tiere draußen beobachte, merke ich nicht, was er mit mir macht. Ich verließ regelrecht meinen Körper. Ich schickte meine Seele fort, damit sie in Sicherheit war. Noch heute kann ich jede Einzelheit des Raumes beschreiben.

Als ich elf Jahre alt war, schenkte mein Vater mir einen Schäferhund. Ich ging in einen Verein und bildete meinen Hund aus. Endlich hatte ich einen Freund und eine Waffe. Ich ging nicht mehr zum Onkel. Ich wollte, dass er zu mir kam, und er kam. Ich ließ meinen Hund von der Leine und er wartete auf das entsprechende Kommando. Das Einzige, was mich davon abhielt, war, dass mein Hund eingeschläfert worden wäre. Er versuchte mich noch ein paar Mal abzupassen, aber als mein Hund ihn einmal fast an der Kehle hatte, hat er verstanden, dass ich es ernst meinte. Ich war ihn los.

Leider war ich auch später sexuellen Übergriffen von anderen ausgeliefert. Ich versteckte mich, war schüchtern und gehemmt. Ging auf keine Feier oder Party und wenn, dann saß ich in der hintersten Ecke. Ich zog weite Kleidung an und versuchte meinen Körper zu verdecken.

Ich habe eine gute Schulbildung bis zur Höheren Handelsschule und absolvierte eine Ausbildung als Steuerfachangestellte. Das habe ich ohne Unterstützung geschafft, da ich auf mich allein gestellt war. Später habe ich oftmals versucht, mir Hilfe zu holen. In mir drin spürte ich das Bedürfnis, einmal darüber zu reden, Gleichgesinnte zu finden und nicht allein damit zu sein. Nach einigen erfolglosen Versuchen und Ablehnungen fand ich endlich die Therapeutin, die helfen konnte.

Was bis heute bleibt ist, dass ich mich selbst nicht wahrnehme. Ich weiß nicht, wann ich Hunger habe oder Durst. Da ich mich während des Missbrauchs weggeschaltet habe, fühle ich mich nicht. Ich kann Umarmungen nicht aushalten. Niemand darf meine Handgelenke umfassen, ich gehe sofort in die Aggression. Beim Geruch von Alkohol bekomme ich Panik. Ich habe Platzangst in engen Räumen, Angst vor der Dunkelheit, Angst im Dunkeln allein vor die Tür zu gehen.

Als Kind war ich allein in einer Situation, in der ich niemanden hatte, der mir half. Meine Mutter war mit der Situation überfordert. Einmal bin ich in Scherben gestürzt. Das erste Mal bekam ich Aufmerksamkeit. Von da an war ich Stammgast im Krankenhaus. Heute weiß ich, es waren keine Unfälle, sondern selbstverletzendes Verhalten. Endlich sah man mich.

Ich hätte mir damals gewünscht, dass Aufklärung in den Schulen oder Krankenhäusern betrieben wird. Dass jemand da gewesen wäre, an den ich mich hätte wenden können. Damals wusste ich einfach nicht, wohin ich gehen könnte.