Die Geschichten auf diesem Portal enthalten Schilderungen, die verstörend wirken können. Einige Worte oder Beschreibungen können negative Erinnerungen und unangenehme Gefühle auslösen. Falls Sie das Bedürfnis haben, mit jemanden darüber zu sprechen, nutzen Sie bitte die Angebote zur Beratung & Hilfe.
Beim Kinderturnen habe ich mich wohl ganz gut angestellt, sodass ich in den 1980er-Jahren im Verein in die Leistungsturnen-Gruppe gehen konnte. Dort haben wir zwei bis drei Mal pro Woche trainiert. In meiner Gruppe waren 15 bis 20 Mädchen im Alter zwischen zehn und 15 Jahren.
Es war wichtig, dass man zum Training pünktlich erschien, fertig umgezogen in der Halle. Wenn jemand zu spät kam, hat sich der Trainer das aufgeschrieben. Eine Strafe drohte im Wiederholungsfall: Wir sollten in eine Mülltüte gesteckt werden. Notorische Zuspätkommer sollten sogar in zwei oder mehr Mülltüten gesteckt werden. Bei mir wirkte diese Androhung. Ich habe nie eine Mülltüte von innen gesehen.
Ich kann mich an zwei Ausflugstage der Turngruppe erinnern. Bei dem ersten Treffen waren wir zuerst im Wald und haben Pilze gesammelt. Anschließend waren wir in seiner Praxis, die auch gleichzeitig sein Zuhause war. Es gab verschiedene Behandlungszimmer, da er im Hauptberuf als Physiotherapeut arbeitete. In der Wohnung haben wir irgendwelche harmlosen Kindergeburtstagsspiele gespielt. Es gab viel Kuchen.
Beim zweiten Treffen in seiner Wohnung war ich etwa elf Jahre alt. Wir waren ungefähr zehn Mädchen. Die Wohnung kannten wir ja nun schon. Im Wohnzimmer hat er uns Videos gezeigt. Verschiedene Eis am Stiel-Filme, die erst ab 16 Jahren freigegeben waren und mir im Nachhinein wie Softpornos vorkamen, und einen schlimmen Horrorfilm. Irgendwie war mir klar, dass wir etwas Verbotenes tun, wenn wir diese Filme guckten. Insofern habe ich davon auch nichts zu Hause erzählt.
Mir wurde klar, dass das Verhalten des Trainers extrem übergriffig und falsch war.
An diesem Treffen konnten wir auch in die Behandlungszimmer. Das war ein Abenteuer. Es gab dort Haken an der Decke mit Seilen dran, an die man sich hängen konnte. Auch eine Art Pritsche, an die man stehend gebunden wurde, dann konnte man diese Pritsche nach hinten klappen, sodass man auf dem Kopf hing. Das machte Spaß. Der Trainer fesselte uns nacheinander fest daran, schließlich sollten wir ja nicht runterfallen. Als ich mal zur Toilette musste, habe ich gesehen, dass in einem anderen Behandlungszimmer die Tür einen Spalt weit offenstand. Der Trainer kam gerade dort heraus. Ich konnte sehen, wie ein Mädchen mit hinterm Rücken zusammengefesselten Händen und Füßen an einem Seil hing. Er meinte, das sei gut für ihren Rücken. Ich habe mir nichts weiter dabei gedacht.
Später an diesem Tag stand noch seine „Bestrafung“ an: Er war einmal zum Training zu spät gekommen. Das hieß „ab in die Mülltüte“. Wir sind dazu in den dritten Behandlungsraum gegangen. Dort hatte er schon alles vorbereitet. Wir haben ihn dann auf seine Anweisung hin bis zum Hals in eine bereitgelegte Plastiktüte eingepackt. Mit Paketklebeband sollten wir diese Folie dann enger an seinen Körper binden. Dann hat er uns die nachfolgenden Schritte erklärt, die wir zu tun hätten, weil er ja fürs Zuspätkommen bestraft werden musste: Wir sollten ihm einen vorbereiteten Softball ganz in den Mund stecken, durch den ein Schnorchel ging. Über diesen Schnorchel sollten wir ihm dann eine kleinere Mülltüte über den Kopf stülpen, die oben ein Loch hatte, durch den der Schnorchel sollte. Anschließend sollten wir ihm eine wirklich extrem große Mülltüte über seinen ganzen Körper ziehen. Es wurde alles so umgesetzt, wie er das wollte. Ich selbst habe in meiner Erinnerung vom Türrahmen aus zugeschaut.
Ich erinnere mich, dass ich, als er fertig verpackt war, zu den anderen Mädchen sagte: „Ich glaube, der kriegt keine Luft mehr!“ Zum Glück hatte ich ein Taschenmesser dabei, das ich schnell aus meiner Tasche im Flur holte, um ihn zu befreien. Und auch hier war für mich klar, dass ich da mit niemandem drüber sprechen würde, weil ich dachte, dass ich mit meinen Turnfreundinnen fast einen Menschen umgebracht hätte.
Das Turntraining ging in den folgenden Wochen ganz normal weiter. Nach den Sommerferien hatte ich keine Lust mehr zum Turnen und habe meinen Eltern gesagt, dass sie mich abmelden sollten. Das haben sie dann auch gemacht. Es hat dann einer vom Turnverein angerufen und gefragt, warum ich mich denn abgemeldet hätte, ob es da einen Grund für gäbe. Nein, ich hätte einfach keine Lust mehr, meinte ich. Der Herr am Telefon schien über meine „Keine-Lust-mehr“-Antwort erleichtert. Er sagte, dass sich wohl alle abgemeldet hätten und nicht mehr zum Training gehen würden. Die Turngruppe war also aufgelöst. Abgesprochen hatten wir Mädchen uns untereinander dazu nicht. Ich kann mich an eine tiefe Einsamkeit erinnern, nachdem das Training weggefallen ist.
Erst mit 25 Jahren habe ich zum ersten Mal darüber gesprochen, und während ich die Geschichte erzählte, wurde mir bewusst, wie absurd diese Situationen waren und dass sie so nicht hätten passieren dürfen. Mir wurde klar, dass das Verhalten des Trainers extrem übergriffig und falsch war. Ich würde das Erlebte nicht direkt als sexuellen Missbrauch bezeichnen. Dennoch denke ich, dass man Kindern in dem Alter keine Filme mit Sexszenen zeigen sollte und sie nicht für die Durchführung eigener perverser Erstickungsszenarien missbrauchen sollte.
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