Es ist über 30 Jahre her. Bei mir war es beim Reiten, Dressurreiten auf Leistungsebene. Es war mein Reitlehrer, der mich ausgenutzt hat. Ich war 15 Jahre alt, als es begann.

Um für Reitabzeichen oder Turniere ein intensives Training zu haben, gab es mehrwöchige Lehrgänge während der Ferien. Dann blieb ich auch über Nacht in dem Reitstall. Während eines solchen Lehrgangs starb meine Großmutter, die bei uns im Haus lebte. Als meine Oma gestorben war, fragten mich meine Eltern, ob ich nach Hause oder ob ich dableiben möchte, und ich habe mich für das Dableiben entschieden.

Der Reitlehrer kannte mich, seit ich mit zehn Jahren dort angefangen habe. Das war ein vertrauensvolles Miteinanderumgehen. Natürlich hat der mich dann mal in den Arm genommen und getröstet, das war auch normal. Nach dem Reitunterricht haben wir uns hingesetzt und über meine Oma geredet. Und dann kam die Frage: „Hast du eigentlich einen Freund?“ Ja, hatte ich, meinen ersten Freund. Wir sind zusammen ins Kino und händchenhaltend durch die Stadt gegangen. Der Reitlehrer fragte weiter, ob ich schon mal Sex hatte.

Ich war traurig, weil meine Oma gestorben war und hatte diese Gespräche und die Aufmerksamkeit auch dankbar angenommen. Ich war ja froh, dass da jemand war, mit dem ich über meine Oma reden konnte. Er war schon alt, über 60 und im Reitstall eine Autoritätsperson. Was sich daraus dann entwickelte, war mir in dem Moment überhaupt nicht klar.

An den Seiten der Halle waren die Boxen. Auf jeder Seite standen 25 Pferde. Als ich mein Pferd wieder zurück in die Box gebracht, es geputzt und versorgt hatte, kam er die Stallgasse nach hinten und fasste mir unter dem Pulli an die Brust. Ich war verdattert und total perplex. Das war peinlich und ich konnte das überhaupt nicht einordnen. Ich wusste nur: Meinem Freund konnte ich das nicht erzählen, der wäre ja eifersüchtig gewesen. Also so ganz blöde Gedanken hat man im Kopf.

Ich erzählte es niemanden, auch nicht meinen Eltern. Ich bin zwei bis drei Mal die Woche beim Reiten gewesen und zwei bis drei Mal die Woche passierte es immer wieder. Wenn das Pferd weiter vorne stand, wo man hätte sehen können, was er mit mir macht, gab er mir eine Aufgabe: „Geh doch mal bitte noch die Stallgasse fegen!“ Das war auch normal, das haben andere auch gemacht. Dann kam er hinterher. Wenn wenig Betrieb war, hat er seine Hose ausgezogen und mich dazu genötigt, ihn oral zu befriedigen. Das ging insgesamt eineinhalb Jahre.

Irgendwann habe ich es meinem Freund dann erzählt, der ja gern mehr wollte. Da sagte er nur: „Ach, bei dem machst du das!“, und er bedrängte mich nun auch mit ihm zu schlafen. Ich gab widerwillig nach, und kurz darauf hat er mit mir Schluss gemacht. Ein Jahr später las dann mein zweiter Freund in meinem Tagebuch. Meinem Tagebuch hatte ich mich anvertraut. Er hat sich riesig aufgeregt und meinte, dass ich das sofort meinen Eltern erzählen muss. Ich willigte ein.

Ich stellte mir vor, dass mein Vater abends nach Hause kommt von der Arbeit und wir setzen uns gemeinsam hin und reden darüber. Da tauchte bei mir eine Hoffnung auf, dass mein Vater wissen wird, was man tut, denn er arbeitete beim Gericht.  

Mein Vater ist immer mitgeritten. Es war eigentlich schön, er hat seine Tochter von klein auf mit begleitet und hat dann ihr Hobby auch zu seinem Hobby gemacht und Unterricht genommen. Eigentlich eine schöne Geschichte.

Als ich es meinem Vater erzählte, kam der Moment, wo ich den kompletten Glauben an alles verloren habe. Er sagte, das bilde ich mir alles nur ein, das könne nicht sein: „Der ist Oberstleutnant, das macht der nicht! Doch nicht ER! Der weiß doch, was sich gehört! Wieso denkst du dir denn sowas aus?“ Er war eher verärgert als verständnisvoll.

Man bräuchte so Anlaufstellen, dass man als junger Mensch weiß: „Ich habe jemanden, wo ich hingehen kann, um das mal anzusprechen.“

Meine Mutter hörte still zu und fragte mich am Ende des Gespräches: „Möchtest du denn noch weiterreiten?“

Ich habe das Reiten ja geliebt! Und ich wollte meinen Vater nicht noch weiter verärgern. So sagte ich „Ja“.

Meine Eltern wussten es jetzt, und wir sind da nach wie vor gemeinsam hingefahren. Und niemand hat mit diesem Mann geredet.

Irgendwann bin ich zusammengeklappt, es ging nicht mehr. Ich hatte richtige Zusammenbrüche, aber mein Vater hat immer noch nicht verstanden weswegen. Ich bin zuhause schreiend auf dem Wohnzimmerboden zusammengeklappt und hatte immer das Gefühl, mich zieht irgendwie jemand an den Füßen durch den Teppich nach unten.

Mein Vater hat sich Gedanken gemacht, was die Nachbarn denken könnten, weil ich so laut geschrien habe. Meine Mutter nahm mich in den Arm, sagte: „Was ist denn um Himmelswillen los?“ und ging mit mir zum Arzt.

Die Ärztin hat verstanden, dass da irgendwas anderes war und schließlich sagte ich ihr: „Mein Reitlehrer fasst mich an!" Daraufhin sagte sie: „Sag deinen Eltern, dass du nicht mehr Reiten gehen möchtest!“ Und das habe ich gemacht, und dann bin ich nicht mehr geritten.

Damit wurde mir das Liebste genommen, was ich eigentlich hatte. Es waren immer die Pferde, die für mich da waren und mit denen ich geredet habe. Noch heute, wenn ich in Pferdeställe gehe, kommen mir die Tränen.

Mir ist das wirklich ein Anliegen, etwas zu verändern. Ich finde es einfach wichtig, dass jungen Mädchen nicht dasselbe passiert wie mir. Ich wäre damals mit Sicherheit nicht in den Verein gegangen und hätte gesprochen, weil ich ganz genau wusste, was er für ein Ansehen genießt. Man bräuchte so Anlaufstellen, dass man als junger Mensch weiß: „Okay, ich fühle mich jetzt in einer Art und Weise berührt, das möchte ich eigentlich nicht so gern." Mit meinem Trainer im Verein kann ich da nicht drüber reden. Ich habe aber jemanden, wo ich hingehen kann, um das mal anzusprechen.

Ich habe danach wieder versucht zu reiten, aber es war merkwürdig, ja, schwierig. Es ging einfach nicht mehr! Es war kaputt, es war nicht mehr das, was es mal gewesen ist. Nachts hatte ich Alpträume und wachte schreiend auf. Das ist bis heute so. Wenn ich im Urlaub Reiter sehe, dann ist da eine ganz tiefe Sehnsucht in mir drin. Es fehlt mir soo sehr. Dann gehe ich schlafen und wache wieder schreiend auf. Das ist doch nicht fair. Ich würde mir wünschen, dass die Narbe irgendwann so verheilt ist, dass ich meinen Sehnsüchten auch nachgeben kann. Dass ich mich mal wieder auf einen Pferderücken setzen und losreiten kann.