Ich habe Fußball gespielt als Kind, Jugendliche und Erwachsene. Mit fünf Jahren fing ich in einem Jungenverein an. Als ich zehn war, nahm ich an einem Ferienfußballcamp teil. Dort wurde man auf mich aufmerksam.

Frauenfußball war Ende der 1980er-Jahre total angesagt, da wir Europameister wurden. Verschiedene Vereine sprachen mich an, ob ich nicht zu einem Mädchenfußballverein wechseln möchte. Ich war eigentlich zu jung, alle anderen waren viel älter, aber ich wechselte. Das Training war nun von meinem Heimatort ungefähr 20 km entfernt. Aber es gab Fahrdienste, die die Kinder abholten und zum Training und den Spielen brachten.

Mein Verein war damals eine Größe im Frauenfußball und hatte eine erfolgreiche Mädchenjugend. Das war ein Anreiz, wie wenn Real Madrid anruft. An Wochenenden und in den Ferien gab es Events, Ausflüge und Reisen. In dem Verein waren zwei Betreuer, und einer der beiden war auch der Trainer von uns Jüngeren. Die älteren Mädchen waren 15 oder 16 Jahre alt und teilweise mit denen liiert. Also mit viel älteren Männern. Die erste Reise war ein Zeltcamp mit einem Mädchenfußballturnier. Eltern waren nicht dabei, nur Betreuer und ich war die Jüngste.

Da passierte es mir das erste Mal, dass mir das komisch vorkam. Das waren keine richtigen Übergriffe, aber immer ein bisschen zu viel trösten, ein bisschen zu viel anfassen, ein bisschen zu viel kümmern, wenn ich mir wehgetan hatte. Rücken abtrocknen, wenn es geregnet hatte und man sich umziehen musste. Der Trainer hat mich also versorgt und dabei angefasst. Ich merkte, dass der andere Betreuer das mitbekam und guthieß, also schien das so seine Ordnung zu haben. Das hatte so eine Normalität, offenbar gehörte das dazu. Das war der Preis dafür, dass ich jetzt beim Fußball so viel Spaß hatte.

Wenn ich zum Training abgeholt wurde, gab es diese Anzüglichkeiten. Beim Begrüßen immer ein Stück zu lange umarmen oder an den Beinen anfassen. Auch kleine Untersuchungen waren Normalität. So ein Separieren beim Training: „Komm mal vorher mit in die Kabine“.

Mit dem Missbrauch, das ist als wenn mir einer mutwillig die Eisenstange aufs Knie gehauen hat, nur unsichtbar.

Wir sind dann im gleichen Jahr ins Ausland gefahren, um dort Fußball zu spielen. Dort waren wir in Ferienhäusern untergebracht. Ich wurde krank und konnte zu einer geplanten Exkursion mit Übernachtung nicht mitkommen. Der Betreuer erklärte sich bereit, mit mir dazubleiben. So war er zwei Tage allein mit mir.

Sobald die anderen weggefahren waren, kippte die Stimmung und die Fassade fiel. Ich verstand nicht, was ich gemacht hatte. Ich dachte, er wäre sauer, weil er jetzt hier mit mir bleiben müsste. So interpretierte ich das. Dabei ging es um bloßes Angsteinflößen. Um Gewalt. Das kann ich jetzt verstehen, aber damals nicht. Und da blieb es dann nicht bei Anzüglichkeiten, da waren Übergriffe bis zur Vergewaltigung.

Ab da war alles gebrochen, jeglicher Widerstand. Das wurde ganz systematisch aufgebaut in kleinen Gewalttätigkeiten immer weiter, bis ich gar nichts mehr von mir gegeben habe, nichts mehr gesagt habe, und er alles machen konnte, ohne jeglichen Widerstand. Da gab es keine Erklärung mehr oder Drohung. Das war gar nicht nötig, weil: Ich war allein.

Danach ging es weiter. Die Route beim Fahrdienst war immer so, dass ich als letzte nach Hause gefahren wurde. Manchmal passierte gar nichts, manchmal gab es Anzüglichkeiten, manchmal wurde auch angehalten, um mich anzufassen, auszuziehen, zu vergewaltigen. Das war alles nicht voraussehbar.

Ich hatte Angst und Scham - ganz viel. Man fragt sich natürlich, warum ich nicht einfach gesagt habe: Nein, ich möchte nicht einsteigen und mitfahren. Also diese Schuldvorwürfe, die spielen beim Sport eine große Rolle. Aufzuhören war keine Option. Ich durfte an Auswahlen teilnehmen, ich wurde super gehypt und gefördert. Ich hatte Möglichkeiten und es hat mir so viel Spaß gemacht, ich hätte gar nichts anderes gehabt. Ich dachte, wenn ich was sage, hätte ich den Verein und alles kaputtgemacht.

Im Frauenfußball kennt jeder jeden. Die beiden Betreuer sind auch zu Kreis- und Landesauswahlen mitgekommen und galten dort als engagierte Menschen, die den Mädchenfußball aufrechterhalten. In der Struktur war es tatsächlich wie in einer Familie, wo man niemanden anschwärzt und das System nicht brüchig machen möchte.

Schließlich hat auf einer der Fahrten einer der Betreuer anzügliche Fotos aus seinen Urlauben dabeigehabt und den Mädchen gezeigt. Darauf war er mit Frauen im Arm zu sehen. Die Mädchen haben das ihren Müttern erzählt und die sind auf die Barrikaden gegangen. Als wir wieder zu Hause waren, wurde eine große Sitzung einberufen, um darüber zu sprechen. Da wurde er wütend und sagte: „Ich mache hier nie wieder was!“ und ging. Der andere Trainer ist geblieben, aber danach nie wieder an mich herangetreten. So hat das geendet. Da war ich 12 Jahre alt.

Ich fing an, das zu verdrängen. Das hat ein paar Jahre gut funktioniert. Dann immer weniger. Schließlich hörte ich auf, weil ich Angst vorm Fußballspielen hatte: Ach, dann bewertet dich wieder jemand, dann guckt einer auf dich und sagt, ich hätte das zehn Mal besser machen können und ich weiß, dass es stimmt, aber es geht nicht anders. Ich war so ein sichtbares Talent, aber ich konnte irgendwann nur noch mit angezogener Handbremse im Kopf spielen.

Was beim Sport speziell ist, ist dieses Gefühl, dass einem Chancen genommen wurden. Man opfert ganz viel Zeit und Aufwand und Kraft. Natürlich kann man dabei immer scheitern. Aber mit dem Missbrauch, das ist, als wenn mir einer mutwillig die Eisenstange aufs Knie gehauen hat, nur unsichtbar.

Wenn man sportlichen Erfolg hat, ist man präsent und Mitglied der großen Familie. Aber bei Missbrauch dann plötzlich nicht mehr. Das ist schwierig. Ich glaube, dass bei dem Thema noch zu viele Scheuklappen zugehen. Ich wünsche mir, dass es bei den Verbänden eine Instanz gibt, an die sich erwachsene Betroffene hinwenden können. Und dass es einen Unterstützungs-Fonds gibt und unabhängige Aufarbeitung.

Ich studiere gerade und möchte bald fertig sein. Was mir Kraft gibt ist, dass es heute tatsächlich gehört und ernst genommen wird. Ich habe die Hoffnung, dass mein Wissen genutzt werden kann und mehr Aufmerksamkeit und Bewusstsein schafft. So unterschiedlich die vielen Geschichten auch sind, es wird sicher Überschneidungen geben, und das sollten wir herausfinden.