In der Nacht, in der mir massive sexuelle Gewalt angetan wurde, war ich 15 Jahre alt. Im Vorfeld dieser Nacht gab es mehrere Grenzüberschreitungen und Situationen, in denen ich körperlich bedrängt wurde. Mein damaliger Hockeytrainer hat mich in ein Hotelzimmer eingesperrt und dort unter Anwendung massiver Gewalt mehrfach vergewaltigt und misshandelt.

Ich denke nicht, dass es jemanden gab, der davon direkt etwas mitbekommen hat, aber in der Rückbetrachtung glaube ich schon, dass es Menschen gegeben haben muss, denen aufgefallen ist, wie intensiv er daran gearbeitet hat, mich von allen anderen zu isolieren und zu separieren.

Ich habe mit niemandem über diese Nacht gesprochen oder über die unangenehmen Annäherungen, die im Vorfeld stattgefunden haben. Weil es einfach niemanden gab, mit dem ich darüber hätte reden können. In der Mannschaft war ich isoliert und als des Trainers Liebling verachtet. In meiner Familie wurde ich nie gesehen und wahrgenommen. Hier spielt bestimmt auch eine Rolle, dass meine Mutter nichts getan hat, als ich ihr mit zehn Jahren von einem nächtlichen Übergriff meines großen Bruders erzählt habe. Ich lag damals erstarrt in meinem Bett, weil ich gar nicht verstehen konnte, was mein großer Bruder da tat. Als ich am nächsten Tag meiner Mutter davon erzählte, sagte diese nur, dass sie mit ihm sprechen würde und ich jetzt in einem Alter sei, in dem ich nicht mehr leicht bekleidet oder unbekleidet ins Bad gehen sollte. Danach ist nie wieder über den Vorfall gesprochen worden, nicht von meiner Mutter, nicht von meinem Bruder und auch nicht von mir. Ich habe mich nicht mehr getraut, das Thema noch einmal anzusprechen.  

Niemanden in meiner Familie zu haben, mit dem ich sprechen konnte, hat mit Sicherheit begünstigt, dass es meinem Trainer gelungen ist, mich im Sport komplett zu isolieren. Ein bisschen war es auch so, dass er der Mensch war, der mich beachtet hat, der mir Aufmerksamkeit geschenkt hat und mein sportliches Können förderte und damit mein Vertrauen gewann. Ich habe es genossen, endlich wer zu sein, eine Bedeutung zu haben.

Ich habe nicht wirklich registriert, wie isoliert und allein ich war. Erst als ich nach der Nacht wahrnahm, dass es niemanden gab, mit dem ich hätte reden können. Am Tag danach gab es eine Betreuerin einer anderen Mannschaft, die mich ziemlich desolat unter der Dusche gefunden und meine Verletzungen gesehen hat. Ich hatte Striemen an den Handgelenken, Würgemale am Hals und blaue Stellen im Bereich der Rippen und des Rückens. Sie hat mich gefragt, was passiert sei und wollte meine Betreuerin holen, um mir zu helfen. Ich weiß, dass die beiden miteinander gesprochen haben, mit mir allerdings nicht mehr. Ich hatte mich in mich zurückgezogen und verkrochen. Traue und vertraue niemandem mehr, nicht einmal dir selbst.

Ich habe nicht wirklich registriert, wie isoliert und allein ich war.

Die Geschehnisse dieser Nacht waren lange Zeit in meinem Inneren verschüttet, aus meinem Bewusstsein verschwunden und nicht mehr präsent. Ich hatte in der Folge oft Ängste, die ich nicht wirklich einordnen konnte: Angst vor Fremden, unbekannten Orten, der Dunkelheit, Panik und Angst, hinter jeder nicht einsehbaren Ecke könnte jemand stehen, der mir Böses will. Mein Körper befand sich ständig in der Übererregung und in maximaler Angespanntheit, die mir aber nicht bewusst war, weil ich kein Gefühl zu meinem Körper hatte. Die Ängste vor unbekannten Orten wurden immer schlimmer, sodass ich irgendwann nicht mehr in Urlaub fahren konnte und im Dunkeln nur selten das Haus verließ.

Erst vor einigen Jahren kamen Bilder und Empfindungen der Vergewaltigung wieder hoch. Seit fast drei Jahren gehe ich in Therapie. Ich mache mal kleinere, oft aber auch immer größere Schritte in der Bewältigung und Integration meiner Vergangenheit: der Vergewaltigung und des sehr vernachlässigten Aufwachsens in meiner Familie – worauf ich oft stolz bin. Heute weiß ich, dass der Missbrauch sich über mehrere Jahre hinzog und ein weiterer Mann involviert war.

An die Politik und Gesellschaft gerichtet finde ich es wichtig, dass Menschen bewusster über die Wahl ihrer Worte nachdenken. Von der Krankenkasse einen Ablehnungsbescheid zu bekommen, weil der Gutachter anhand von Unterlagen entschieden hat, dass es keinen Bedarf mehr für die Weiterführung meiner Therapie gibt, kann jemandem wie mir, der sich ständig den Druck macht, nicht schnell genug zu sein und immer falsch zu sein mit seinen Empfindungen, enorm den Boden unter den Füßen wegreißen.

Ich würde mir wünschen, dass die Menschen sich aufmerksamer und achtsamer im Leben bewegen. Wenn man wahrnimmt, dass der Trainer einer Mannschaft es schafft, eines der ihm anvertrauten Kinder zu isolieren und ins Abseits zu stellen, dann sollte es Menschen geben, die sich zu Wort melden und hinterfragen, was da vor sich geht. Wenn man als Betreuerin von jemandem angesprochen wird, dass etwas mit einem der Mädels nicht okay ist und es weinend und verletzt mit Klamotten unter der Dusche steht, dann wünsche ich mir, dass diese Betreuerin den Mut hat, das junge Mädchen darauf anzusprechen und es nicht allein zu lassen und so zu tun, als wenn sie das nichts angehen würde. Ja, das würde ich mir wünschen.